50 Jahre Feldstecher und Zielfernrohre aus Eisfeld – ein spannendes Jubiläum
Eisfeld. Nur noch wenige der ehemaligen Mitarbeiter des damaligen Zeiss-Werkes in Eisfeld gibt es, die sich daran erinnern, wie es war 1968 als es darum ging, eine der traditionsreichsten Produktgruppen des Carl Zeiss Jena Unternehmens nach Eisfeld zu überführen.
Dabei sollte erwähnt werden, daß die Produktion, der bis dahin u.a. in Eisfeld gefertigten Kleinbildkamera „Werra“ eingestellt wurde, einmal aus Gründen der zu diesem Zeitpunkt nicht mehr gegebenen Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt und zum anderen aus der staatlicherseits beschlossenen Zentralisierung der Kamerafertigung im Raum Dresden.
Die Betriebsleitung in Eisfeld stand somit vor der Aufgabe, eine äquivalente Produktion zu finden, die möglichst technisch, technologisch wie auch organisatorisch dem Großseriencharakter der Kamerafertigung entsprach.
In den Gesprächen mit der Kombinatsleitung in Jena wurde dann durch diese 1968 festgelegt, die gesamte Feldstecher– Zielfernrohr-Produktion vom Stammbetrieb in Jena nach Eisfeld zu verlagern. Keine leichte Aufgabe, denn es gab Vorbehalte ob die „Hinterwäldler“ das überhaupt schaffen. Die Verlagerung mußte in relativ kurzer Zeit vonstatten gehen und gleichzeitig war es notwendig die Produktion ohne größere Ausfälle weiterzuführen.
Es folgte eine anstrengende Anlernphase von Kolleginnen und Kollegen aus allen für die Produktion und Fertigungsbetreuung relevanten Bereichen vor Ort in Jena und parallel dazu die schrittweise Überführung spezieller Maschinen, Werkzeuge Justier- und Prüfmittel nach Eisfeld.
Die Aktion war erfolgreich. 1970 lag die produzierte Stückzahl von ca. 71.000 Ferngläser bereits über der Jahresproduktion von Jena. Doch das war nicht genug. Auf Grund der anhaltenden und gestiegenen Nachfrage und der vom Staat erhobenen Forderung nach einer besseren Versorgung der Bevölkerung mit hochwertigen Konsumgütern, stand eine weitere Steigerung der Stückzahlen in den Folgejahren auf der Tagesordnung. Umfangreiche technisch organisatorische Maßnahmen zur effektiveren Gestaltung des gesamten Reproduktionsprozesses wurden eingeleitet, nicht nur in Eisfeld, sondern auch bei den Zulieferbetrieben insbesondere den Optiklieferanten in Jena und Saalfeld.
Im November 1973 wurde erstmalig innerhalb eines Jahresproduktionszeitraumes der 100.000 -ste Feldstecher hergestellt und im August 1974 ein weiteres kleines Jubiläum – der 500.000 -ste Feldstecher aus Eisfeld. 1975 lag die Jahresstückzahl bereits bei über 130.000 Ferngläsern. Damit war Eisfeld zum größten Fernglasproduzenten Europas avanciert.
Auch die folgenden Jahre duldeten keinen Stillstand. Der steigende Bedarf an den Eisfelder Ferngläsern war ungebremst. Hinzu kamen zunehmend Forderungen nach neuen Modellen, um dem Marktverhalten beim Export ins westliche Ausland noch besser gerecht zu werden. Eine neue Herausforderung, die mit dem bislang sehr klein gehaltenen Entwicklungsbereich in Jena nicht zu bewältigen war.
Auf Drängen des Eisfelder Betriebes wurde im Forschungszentrum in Jena ein neuer Entwicklungsbereich für Ferngläser und Fernrohre mit einem Vielfachen der bisherigen Entwicklungskapazität installiert. Das war die Voraussetzung, daß ab 1978 neue Fernglasreihen, sowie neue Zielfernrohre und Aussichtsfernrohre entwickelt und in die Produktion überführt werden konnten.
Parallel zur Entwicklung neuer Modelle mußte das Problem der weiteren Steigerung der Stückzahlen bei den klassischen Feldstechern gelöst werden. Eine Analyse zeigte nüchtern, daß mit den vorhandenen Fertigungstechnologien die Möglichkeiten weitgehendst erschöpft waren. Vor allem das Nadelöhr der Gehäusebearbeitung galt es zu lösen.
In enger Zusammenarbeit mit dem Bereich Verfahrenstechnologie des Forschungszentrums erfolgte die Entwicklung und der Bau von Rundtaktautomaten für die Gehäusebearbeitung mit einer Taktzeit von 1 min. – das war zu diesem Zeitpunkt Weltspitze. Mit dem Kauf zusätzlicher moderner und hochproduktiver Gewindebearbeitungs -sowie CNC gesteuerter Dreh und Frästechnik waren die Grundlagen zur weiteren Steigerung der Fernglas – und Zielfernrohrproduktion gegeben. Ende der 80 er lag das Jahresvolumen bei über 200.000 Ferngläsern bezogen auf alle Modelle.
Mit der Wiedervereinigung 1989 und der Währungsunion 1990 ergab sich eine völlig neue Situation. Durch das veränderte Kaufverhalten und die neuen DM Preise kam es zu Absatzeinbrüchen, die sich auch auf eine Reduzierung des Personals auswirkten.
Die Situation wurde noch dadurch verschärft, daß die Leitungsgremien in Jena und beim Schwesterunternehmen Zeiss West in Oberkochen übereinkamen, das weltweit bekannte Warenzeichen „Linse mit Schriftzug Carl Zeiss Jena“ perspektivisch nicht mehr zu verwenden, sondern „einzufrieren“. Auch hinsichtlich einer möglichen Zusammenarbeit und Kooperation auf dem Gebiet der Ferngläser gab es von Oberkochen/Wetzlar keine positiven Signale. Eine von der Konzernleitung in Jena beauftragte namhafte Unternehmensberatungsfirma, attestierten zudem für den Geschäftsbereich Fernrohre nur geringe Überlebenschancen.
So kam es, daß man im Rahmen der Entflechtung und Neuausrichtung des ehemaligen Kombinates Carl Zeiss Jena nicht mehr an einem Standort in Eisfeld interessiert war – der Betrieb sollte Ende 1991 geschlossen werden.
Retter in der Not war ein sehr erfolgreich agierender mittelständischer Unternehmer, Bernhard Docter, aus Schwalbach bei Wetzlar. Hauptgeschäftsfeld seiner Firma – Produktion optischer Komponenten für Automobilscheinwerfer nach einem von ihm und seinen Mitarbeitern entwickelten innovativen Verfahren der Blankpreßtechnik von Linsen. Er erwarb aus dem Pool der zum Verkauf stehenden Zeiss – Betriebe, die für ihn wichtigen Werke in Schleiz, Saalfeld und letztlich Eisfeld. Die Übernahme erfogte am 1. August 1991. Eisfeld firmierte von nun an als DOCTER Optic Eisfeld GmbH
Damit war die Schließung des Eisfelder Betriebes abgewendet und die Produktion konnte fortgeführt werden mit zwischenzeitlich reduziertem Personal und dem Markt angepassten Stückzahlen. 1992 wurden insgesamt ca. 50.000 Stck. Ferngläser über alle Modelle produziert.
Der neue Firmeninhaber hatte weiter reichende Ziele. Er war fest entschlossen mit neuen Ideen die Feldstecher und Zielfernrohrproduktion in Eisfeld zu beleben – eine schier kaum lösbare Aufgabe angesichts des fehlenden Bekanntheitsgrades des Namens DOCTER und der Tatsache, daß die Verwendung der Kennzeichnung „Carl Zeiss Jena“ zwischenzeitlich tabu war.
Mit einem Paket an Maßnahmen und engagagierten Einsatz insbesondere der Vertriebsmitarbeiter startete die neue aktive Verkaufsstrategie.
Teilnahme an allen wichtigen und relevanten Messen, Außendienstmitarbeiter für das gesamte Bundesgebiet, Einrichtung eines Servicezentrums in Eisfeld mit Schulungen, Seminaren und Präsentationen für Endkunden, Mitarbeiter und Händler. Einsatz eines mobilen Servicewagens mit Vorträgen bei Veranstaltungen insbesondere im jagdlichen Bereich, neues Werbekonzept, neue Produkte mit verändertem Design, Angebote für kundenorientierte Komplettlösungen usw. weckten die Aufmerksamkeit der Kundschaft und brachten schließlich die gewünschte Akzeptanz der Marke „DOCTER“ am Markt. Mit einem solchen Erfolg hatte die Konkurrenz nicht gerechnet.
Der erstmalige Einsatz von blankgepreßten asphärischen Linsen bei Ferngläsern und Zielfernrohren führte Anfang der 90 er zu einer regelrechten Aufbruchstimmung in der gesamten Branche. Man wetteiferte untereinander mit immer höheren und verbesserten Leistungsparametern. DOCTER war nunmehr als ernstzunehmender Mitbewerber anerkannt.
Doch schon kurze Zeit danach wurde die positive Stimmung wieder getrübt.
Nach schwerer Krankheit verstarb der Firmeninhaber am 2. September 1995, was weitreichende Folgen für das gesamte Unternehmen nach sich zog. Die DOCTEER Gruppe ging im November 1995 in Konkurs.
Der größte Teil der Docter Werke wurde an ein Firmenkonsortium von Automobilzulieferern verkauft, lediglich Eisfeld arbeitete unter Konkursbedingungen weiter mit dem Ziel, einen Käufer zu finden. In der Folgezeit gaben sich zahlreiche angebliche Investoren aus dem In und Ausland, darunter auch die meisten Mitbewerber, in Eisfeld die Klinke in die Hand, um vor allem für ihr eigenes Geschäft relevante Informationen abzugreifen. Alle Bemühungen und Anstrengungen der Konkursverwaltung blieben letztendlich erfolglos. Im April 1997 wurde die Schließung des Betriebes verkündet.
Die Rettung kam diesmal aus Jena.
Das Unternehmen Analytik Jena GmbH, gegründet 1990 von ehemaligen Carl Zeiss Jena Mitarbeitern suchte Fertigungskapazität für seine Analysenmeßtechnik – ein Produktbereich, der auch in Eisfeld bis 1991 eine wesentliche Produktionssäule darstellte und den Gründern hinlänglich bekannt war.
Anfang Mai 1997 übernahm die Analytik Jena GmbH einen Teil des DOCTER Unternehmens in Eisfeld mit 40 Mitarbeitern. Auch die Fernglas- und Zielfernrohrproduktion wurde, der Jenaer Tradition verpflichtet, fortgeführt. Die Marke DOCTER durfte beibehalten werden.
Gleichzeitig erfolgte in Abstimmung mit Analytik, die Ausgliederung des Reparaturservices in ein kleines eigenständiges Unternehmen firmierend unter „Geräte-Service & Montage“. Die Reparaturen für Ferngläser und Zielfernrohre auch die von Carl Zeiss Jena wurden fortan sehr erfolgreich durch diese Firma bewerkstelligt.
Die Nutzung bewährter Strategien wie Tradition, Qualität, Vielfalt der Produkte verbunden mit Synergieeffekten beim zunehmenden Einsatz von Elektronik in Neuentwicklungen brachten der Analytik Niederlassung in Eisfeld rasch stabile und steigende Umsätze. Die Belegschaft wuchs auf 100 Beschäftigte. Der Baubeginn eines neuen modernen Werksgebäudes 2005 mit allen Fertigungsbereichen an einem Standort schaffte die Voraussetzung für eine weitere erfolgreiche Arbeit.
Die zwischenzeitliche Umwandlung des Stammwerkes in eine Aktiengesellschaft und der Handel an der Börse veränderte zunehmend die Stimmrechte über die Analytik Jena AG. 2013 waren bereits 47% und ein Jahr später über 80% der Stimmrechte im Besitz eines Schweizer Unternehmens, für das Jenaer Tradition kaum eine Rolle spielte. Ferngläser und Zielfernrohre paßten nicht mehr in das Produktfolio eines auf Analyse und Biotechnologie ausgerichteten Unternehmens. Die logische Folge – das Werk Eisfeld wurde 2016 an einen Investor – Noblex GmbH – verkauft.
Die Warengruppe der Fernrohre ist auch in diesem neuen Betrieb bis heute eine der wichtigsten Produktionssäulen.
Abschließend bleibt zu hoffen und zu wünschen , daß die Zeiss – Tradition, die Erfahrungen und Fertigkeiten, die mittlerweile über Generationen von Mitarbeitern in der Ära Eisfeld seit 1968 gesammelt und erlangt wurden sowie die Leidenschaft für Optik im Allgemeinen und für Ferngläser im Besonderen auch für die Zukunft an diesem Standort erhalten bleiben.
Harald Ros
Eisfeld
Foto: Classik Ferngläser der Marke Carl Zeiss Jena aus der Eisfelder Produktion (Foto: Carl Zeiss Jena).