Die Fassadendemokratie
Meine Oma, die Kirner Sophie und ihre vier Schwestern! Die hatten es noch leicht. Gelesen wurde die Süddeutsche Zeitung. Was dort geschrieben stand, war die Wahrheit. Gewählt wurde SPD. Grundsätzlich. Ausnahmslos. Über Jahrzehnte.
Ach, die SPD. Wenn es nach den traurigen Figuren geht, die dem Laden derzeit vorstehen, ist der Grund des Niedergangs: ein „Kommunikationsproblem“. Man schaffe es leider nicht, sagen sie, den Leuten zu vermitteln, was man Sensationelles für sie erreicht habe in der Groko.
Auch die CDU/CSU sieht sich – dank des 26jährigen Youtubers Rezo, dessen Video „Die Zerstörung der CDU“ bei 15 Millionen Klicks liegt – mit einem „Kommunikationsproblem“ konfrontiert.
Das „Kommunikationsproblem“ der Groko-Parteien besteht effektiv darin, dass die üblichen Tricks und Spielchen nicht mehr klappen, während ihnen online und offline die Ergebnisse ihrer Politik um die Ohren gehauen werden.
Diese Ergebnisse sind, um nur einiges herauszugreifen:
- eine schon aberwitzige Umverteilung des Vermögens Richtung Superreiche und Konzerne.
- eine aus deutscher Sicht völlig hirnrissige Eskalation gegenüber Russland, im Schlepptau der USA.
- die Zerstörung der hiesigen Solarindustrie bei gleichzeitigen Milliardensubventionen für die Kohlekraft.
- eine flächendeckende Überwachung der Gesamtbevölkerung.
- eine zunehmend marode Infrastruktur.
- ein finanziell ausgetrocknetes, heillos veraltetes Bildungssys-
tem, das die Kinder (und Lehrer) kaputt macht. - Die Steigerung des Rüstungshaushalts um 4,7 auf insgesamt 43,7 Milliarden Euro, während der gesamte Umweltetat 2,3 Milliarden beträgt.
Kurzum: diese Regierung versagt auf allen Kanälen – und wenn das herauskommt, nennt man das heutzutage „Kommunikationsproblem“.
Die Misere der Parteipolitik reicht aber viel tiefer. Eine aktuelle Erhebung fragt: „Welcher Partei trauen Sie die Lösung der großen Zukunftsfragen zu?“
Der strahlende Sieger der Umfrage lautet: „Keine Partei“. Sagenhafte 45% der Leute trauen keiner Partei die Lösung der großen Zukunftsfragen zu.
Ich gehöre zu diesen 45%.
Denn wir leben in einer Scheindemokratie. Echte Demokratie lebt davon, dass jeder Bürger eine Stimme hat, die gleich viel zählt. Demokratie bedeutet, dass sich der Mehrheitswille durchsetzt.
In der Praxis ist das komplett anders.
Wer ist für eine Fortsetzung des Afghanistankrieges, der seit 18 Jahren läuft? Wer wäre dagegen, die Plastikflut gesetzlich einzudämmen, Glyphosat zu verbieten? Wer würde nicht wollen, dass globale Großkonzerne und Superreiche endlich Steuern bezahlen?
Deshalb möchte ich anlässlich der hinter und vor uns liegenden Wahlen schon darauf hinweisen, dass wir über das Instrument dieser fünf Minuten Demokratie, die uns da alle heiligen Jahre gnädig gewährt werden, herzlich wenig wirklichen Einfluss haben.
Wir haben aber Einfluss. Den allerdings müssen wir anders geltend machen. Die wachsende Unruhe im Volk ist eine gute Sache. Aber Unruhe reicht nicht. Wir brauchen positive Perspektiven – und Wege, diese durchzusetzen. Selber. Alle gemeinsam. Von unten.
Prinz Chaos II.
Weitersroda
Foto / Quelle: ARD / infratest dimap