Stadt Hildburghausen verpasste bedeutende Jubiläen
Vom dornenreichen Weg Hildburghausens, durch Eingemeindungen zukunftsfähig zu werden. Er begann etappenweise vor 95, 50, und 45 Jahren. Ist er nach 25 weiteren Jahren am Ende angekommen?
Hildburghausen. Der Freistaat Sachsen-Meiningen mit den politisch selbständigen Dörfern Häselrieth, Wallrabs und Birkenfeld wurden 1920 in das neu gegründete Land Thüringen überführt. Am 1. April 1923 verfügte die Landesregierung, alle 3 Ortschaften nach Hildburghausen einzugemeinden, obwohl deren Einwohner strikt dagegen waren. Sie fanden sich zunächst damit ab. „Nachts um 12 Uhr erfolgte das Grabgeläute der Selbständigkeit Häselrieth‘s“, berichtete Chronist Armin Human.
Für die Stadt hätte schon die Eingliederung von Häselrieth erhebliche Vorteile gebracht, denn der 625 ha große Gemeindewald war eine sichere Einnahmequelle. Weitere Begehrlichkeiten weckten die Gewerbesteuerzahler Sägewerk, Glashütte und die Kupferstichanstalt.
Das Dorf war autark, die Eingemeindung zur Gänze überflüssig und die Einwohner wollten über ihr Budget selbst entscheiden. Aus Protest trat Bürgermeister Friedrich Lenhardt zurück. Unter der Leitung des Kaufmannes Franz Müller gründete man am 14. Juli 1923 den „Heimatbund“. Pfarrer Horn – er war als treibende Kraft 2. Vorsitzender -, Max Wagenschwanz und andere ehemalige Bürgermeister, Gemeinderäte, Unternehmer, Bauern und Arbeiter gehörten ihm als Mitglieder an. Der Bund wollte durch Eingaben an das „Thüringische Ministerium für Inneres und Wirtschaft“ die Eingemeindung rückgängig machen.
Dennoch löste die Landesregierung das Standesamt zum 1. Oktober auf. Am 13. desgleichen Monats wurden auch die Gemeinden Heßberg und Weitersroda Hildburghausen zugeschlagen, um schon am 1. April 1924 wieder unabhängig zu werden.
Kurz vor Weihnachten führte der Heimatbund seinen ersten Gemeindeabend durch. Er stand ganz im Zeichen des Kampfes für die Ausgemeindung. Pfarrer Horn rief in separatistischer Manier „Einigkeit und Treue zur Heimatscholle“ auf.
Die Aktionen gingen 1924 weiter: Vertreter aus Häselrieth, Wallrabs und Birkenfeld trafen sich am 25. April mit Innen- und Wirtschaftsminister Dr. Sattler und verhandelten über die „Rückgängigmachung der Eingemeindungen“.
Ende Juni ereignete sich ein schwerer Konflikt mit Hildburghausen, den Gemeindewald Häselrieth‘s betreffend: Die Stadt wollte Altschulden mit Nutzholz bezahlen und, um größeren Einfluss zu erlangen, eine Neuordnung der Forstschutzbezirke durchsetzen. Das vergiftete die ohnehin miserable Stimmung erneut, zumal Pfarrer Horn unterstellt wurde, Kenntnisse von vertraulichen Unterlagen der Stadt ungesetzlich erlangt zu haben.
Birkenfeld hatte sich im Juni bereits „vom Joch der Stadt“ befreit – Wallrabs am 1. August. Die „unerlösten“ Häselriether schickten Glückwünsche an das „von Joch der Stadt befreite“ Birkenfeld. „Auf, freiem, angestammten Boden ist des Landsmanns heilige Pflicht!“ Der Sieg wurde auf dem Stirnberg und im Dorf mit großem Aufwand gefeiert.
Am 17. Juli weilte eine Delegation des Heimatbundes in Erfurt. Sie erreichte im Thüringer Landtag, dass die „Eingemeindungsverfügung“ mit 31:28 Stimmen aufgehoben wurde. Der hoch angesehene Bauer Leopold Lausch, auch Bürgermeister von 1931- 44, wurde verpflichtet, vorläufig die Geschäfte zu führen.
1923/24 herrschten im Reich Massenarbeitslosigkeit, Hyperinflation und der Ausnahmezustand. Die linken oder rechten Landesregierungen wechselten mehrfach. Warum die 5 Gemeinden innerhalb von 15 Monaten ein- und ausgemeindet wurden, ist bis heute nicht nachvollziehbar.
Häselrieth beging am 24. August sein Heimatfest nach dem Vorbild von Birkenfeld, wobei Bier aus der Haselstaude nicht fehlen durfte. Es begann unter Glockengeläut mit einem Marsch zum Freudenfeuer auf den Berg. Der Tag danach stand im Zeichen eines Kinderfestes mit Reigen, Turnspielen und Preisen. Nach Reden von Schulleiter und 1. Vorsitzenden zogen die Einwohner, begleitet vom Krieger und Turnverein mit wehenden Fahnen zum Heimatgottesdienst nach Sankt Wigbert. Abends hielt Pfarrer Horn in der Gaststätte „Zur grünen Haselstaude“ einen Vortrag zur Ortsgeschichte. Der Landtagsabgeordnete Kien sprach Glückwünsche aus und bat darum, ein „freundlicheres Verhältnis zur Stadt“ aufzubauen.
Lied für das Heimatfest
Das „Hildburghäuser Kreisblatt“ schrieb im März 1925: 150 Mitglieder trafen sich in der „Haselstaude“ bei Kino und Bier, unterhalten von der Dorfkapelle. Der Bund sei „nicht überflüssig geworden, nachdem der Zweck seiner Gründung erreicht wurde.“ Was das Blatt nicht berichtete, war die Auffassung der Kreisstadt, die doch Fusionsgewinner sein sollte.
Aus der NS-Zeit sowie der „sowjetisch besetzten Zone“ wurden keine Fusionsbestrebungen bekannt. Erst die Analyse zum „Stand der Eingemeindung…“ vom „Rat des Kreises“ (d. h. Landratsamt) von 1956 zeigte, dass beabsichtigt war, ca. 50 Orte zu vereinigen. In Häselrieth hatte dazu die Ortsorganisation der Staatspartei SED im Beisein des Genossen Rudi Rausch, späterer Kreis-Parteichef, getagt und zugestimmt.
Eingemeindungsversuche von Wallrabs 1950 und 1956 scheiterten. Nach der „Festschrift 1050 Jahrfeier“ „konnten die Einwohner noch nicht von der Notwendigkeit… überzeugt werden“.
In der Häselriether Gemeinderatssitzung am 17. November 1964 wurde ein Schreiben des Landratsamtes über die Zusammenlegung der Standesämter 41 Jahre nach dem ersten gescheiterten Versuch verlesen. Die Gemeindevertretung, schon ab 1948 von der SED beherrscht, stimmte erwartungsgemäß zu.
Gemeinderatsitzung am 25. Juli 1968 ab 20:30 Uhr in der „Haselstaude“: zu Gast war der 2. Landrat Genosse Langer. Bürgermeister Adolf Lipfert erläuterte, dass es bei 3 Einwohnerversammlungen „hoch hergegangen ist“. Insbesondere Ortschronist Günther Fink und Ex-Bürgermeister Lausch sprachen sich im Namen der Einwohner vehement gegen die Eingemeindung aus: „Wir sind Häselriether und wollen es bleiben!“ Man beschloss sie probehalber mit 17:4 Stimmen.
20. Dezember 1968, letzte Sitzung des Gemeinderates von Häselrieth im Amt neben der Kirche: sie befasste sich mit „Problemen der marxistisch-leninistischen Gesellschaftsprognose“, einer neuen Ortssatzung, der Wohnraumknappheit und mit der defekten Kirchenuhr. Danach wurde die Gemeinde nach mehr als 680 Jahre andauernder politischer Selbständigkeit sang- und klanglos aufgelöst und ab 1. Januar 1969 der Stadt angeschlossen: „Nach Gbl. Teil I Nr. 13 wird unser Rat aufgelöst u. der Bürgermeister abberufen. Grimm verliest die Beschlussfassung und macht auf diesen historischen Augenblick aufmerksam. Grimm verbindet Dank und Anerkennung in seinen Ausführungen. Abstimmung über die Beschlussfassung ergibt die einstimmige Annahme…“.
Der verdienstvolle Adolf Lipfert, 20 Jahre im Amt, erhielt eine Geldprämie von 300 Mark und verblieb mit seinem „Bauhof“ – 2 Arbeitern mit Pickel, Schaufel und Schubkarre – als Beauftragter der Stadt in seinem bisherigen Amt. Die großenteils desinteressierten Einwohner bekamen den Anschluss kaum mit: „Egal, nun sind wir eben Hildburghäuser.“
Die SED hatte sich so die Mehrheit im Hildburghäuser Stadtrat verschafft. CDU-Bürgermeister Fritz Bartsch wurde 1969 durch Gerhart Traut (SED) ersetzt. In Häselrieth verfügte die SED bereits ab 1948 über eine Mehrheit. Die in Hildburghausen dauerte bis 1989 an.
Noch zur 725-Jahrfeier 2012 bestanden bei den Ältesten Häselriethern erhebliche Ressentiments: „Mir gänn doch nett auf Hilberhause, un bei dann Börchermäster scho gor net!“ Den Jüngeren stellt sich diese Frage nicht.
Aus bereits 1554 in „alten Gemeinde-Rechnungen“ genannten „Wachen“ gründete sich 1877 die Freiwillige Feuerwehr Häselrieth. Ende Januar 1969 legte die Stadt fest, auch die Wallrabser Feuerlöscher – Birkenfeld ab 1974 – in die Kreisstadtwehr einzugliedern, ohne an deren Eigenständigkeit zu rütteln. Es wurde eine gemeinsame Wehrleitung gegründet. 2010 erfolgte die „Eingliederung“ der Feuerwehren Ebenhards, Häselrieth, Weitersroda und Wallrabs in die Stützpunktwehr Hildburghausen.
1994 wurden nach der „Verordnung über die Auflösung der Gemeinden und deren Eingliederung in die Kreisstadt“ des Freistaates in Bürden, Ebenhards, Gerhardtsgereuth, Leimrieth, Pfersdorf, Weitersroda und Heßberg und von Bürgermeister Harzer die Möglichkeiten einer Fusion dargelegt und diskutiert. Die Einwohner entschieden in geheimer Wahl über die politische Zukunft ihrer Gemeinde. Heßberg hatte mit einer hauchdünnen Mehrheit für Veilsdorf gestimmt, alle anderen für die Kreisstadt, der sie sich zum 8. März anschlossen. Es wurden Ortschaftsräte gewählt, Vertreter in den Stadtrat kooptiert, Vorschriften und Gesetze angepasst. Einige Kompetenzen verblieben in den Ortsteilen. Häselrieth´s letzter Bürgermeister hätte davon nur träumen können.
Fusionsgespräche mit Veilsdorf, Streufdorf und anderen blieben ohne Erfolg, da diese noch heute vehement auf ihrer Eigenständigkeit beharren. Schleusingen lehnte Gespräche ab. Eingemeindungen sind mittlerweile zur als „Beihilfe“ getarnten Handelsware geworden: Erfurt´s Mächtige zahlen je Einwohnerkopf 200 Euro, das wären fiktiv etwa für alle Häselriether, Mann und Maus, Wald und Werra eingeschlossen 300.000 Euro gewesen.
In der ersten deutschen Republik fielen alle Fusionen den chaotischen Verhältnissen zum Opfer. Die braune Diktatur zeigte kein Interesse, die rote drückte sie unauffällig durch. Erst nach der Wende wurden sie gelebte Demokratie. Heute werden sie als „Zuschnitt“ bezeichnet und sind eher vom Kosten-Nutzenverhältnis abhängig als von Freiwilligkeit. Das 3. „Neugliederungsgesetz“ setzt diese Methode fort.
Die Stadt Schleusingen und die Verwaltungsgemeinschaft Heldburger Unterland dehnen sich mittlerweile von der Landesgrenze bis zum Landkreis Suhl aus. Die perspektivische Schwächung Hildburghausens als Kreisstadt und Mittelzentrum liegt auf der Hand.
Dr. Klaus Swieczkowski
Hildburghausen