Die Kunst des Träumens
Ein hiesiger Dorfpolitiker benutzt auf Facebook den Begriff „Träumer“ mit einer solchen Regelmäßigkeit als Schimpfwort, dass ich vermuten muss: der arme Mann gehört zu denen, die sich so gut wie nie ihrer Träume erinnern können.
Für manchen Indianer wäre die Unfähigkeit zu Träumen ein glatter Selbstmordgrund gewesen. Für die Naturvölker der alten Zeit, ohne Film, Funk und Fernsehen, war das Träumen eine schöne Selbstverständlichkeit und die Traumdeutung eine wesentliche Informationsquelle. (Ob sie damit sehr viel schlechter gefahren sind als wir mit unseren heutigen Informationskanälen darf diskutiert werden.)
Der Mensch verarbeitet im Traum auf eine Weise, die wissenschaftlich als heilsam erwiesen ist – auch für den Körper gibt es keine bessere Medizin als ausreichenden, erholsamen Schlaf. Auch deshalb ist es gar keine gute Entwicklung, dass wir Menschen des Westens in den letzten 100 Jahren statistisch eine volle Stunde Schlaf pro Nacht eingebüßt haben.
Das kam nicht zufällig. „Schlaf ist eine schlechte Angewohnheit“, hat einst Thomas Edison, der Gründer von General Electric, verkündet. Klar, aus seiner Sicht. Schlafende Arbeiter konnten seinen Profit nicht vermehren.
Wie krank ein Mangel an gutem, erholsamen Schlaf machen kann, wissen alle, die im Dreischichtsystem arbeiten. Systematischer Schlafentzug ist eine beliebte Methode der sogenannten „Weißen Folter“. Nicht von ungefähr spricht der Volksmund demgegenüber von einem „ausgeschlafenen Kerlchen“ und meint damit jemanden, der ziemlich auf Zack ist.
Träumen ist übrigens keine Beschäftigung, die auf die Zeit des Schlafens beschränkt bleiben sollte. Tagträumen ist zwar eine Fähigkeit, die der gehetzte Mensch der Gegenwart ebenfalls vielfach zu entbehren hat. Sie wäre aber immens wichtig, um aus dem Schlamassel herauszukommen, in dem wir uns befinden.
Wir stecken ziemlich fest und während die Fäulnis am Wurzelwerk der Welt, wie wir sie kennen, unerbittlich nagt, ist es um die Vorstellungskraft, wie es in eine gute Richtung weitergehen könnte, ärmlich bestellt.
Den Weltuntergang können wir uns gut vorstellen, wahlweise mit Bruce Willis, Denzel Washington oder Kevin Costner in der Hauptrolle.
Für einen Weltaufgang fehlt es uns vielfach an Fantasie. Die Frage: „Wie schaut die Welt aus, wenn alles sich in eine gute Richtung entwickelt?“ können wir schon deswegen nicht beantworten, weil sie in der Regel gar nicht gestellt wird.
Besonders eklatant stellte ich das fest, als ich kürzlich einer Stadtratssitzung in Hildburghausen beiwohnte. Die Gesamtatmosphäre war insgesamt weniger unsympathisch als befürchtet. Während ich aber nach der ersten Stunde hart mit dem Schlaf und die Damen und Herren Stadträte mit dem alles erwürgenden Bürokratismus kämpften, drängte sich mir der Gedanken förmlich auf, dass die allgemeine Fantasielosigkeit auch in diesem hehren Gremium ein riesiges Problem darstellt.
Wer eine bessere Zukunft erreichen will, braucht aber schon eine Vorstellung davon, wie die überhaupt aussehen könnte.
Prinz Chaos II.
Weitersroda
Foto: Pixabay
Das Roman-Debüt von Prinz Chaos II.
Florian Ernst Kirner – Leichter als Luft
Eine verrückte Zeitreise durch das gentrifizierte Berlin vom 11. September bis heute. Donna Fauna, der Kanarienquex und das Weazel – drei Gewächse der Berliner Elektroszene – erleben auf LSD den 11. September 2001! Die Wucht des Ereignisses katapultiert das Trio endgültig in die Gegenwelt der Drogenkultur – bis sie im gentrifizierten Berlin wieder erwachen. Dort geraten sie in einen aberwitzigen Fight mit einem Immobilienkonzern, lernen alternative Medienleute, Neureiche und den mysteriösen Freiherrn von Tadelshofen kennen. Das Projekt „gesellschaftlicher Aufstieg“ erweist sich als Spiel mit dem Feuer. Ein faszinierender Ritt durch eineinhalb Jahrzehnte Zeitgeschichte. Glänzend beobachtet, mit brillantem Humor und Sprachwitz aufgeschrieben.
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Dirk C. Fleck (ausgezeichnet mit dem Deutschen Science-Fiction-Preis 1994 und 2008)
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