Der „verlorene“ Berg
Ehrenberg. Nachdem wir am Nadelöhr und an der Stickelleite verweilten, führen wir unsere Fahrt auf der B 89 Richtung Hildburghausen fort. In der Höhe Ehrenberg ist wohl manchem die einsame Erhebung oberhalb von Ehrenberg aufgefallen (s. Foto).
Wir sehen den Kapellenberg (492 m) vor uns oder wie mir ein alteingesessener Ehrenberger mit Nachdruck bestätigte, dass das der Ottilienberg sei. Die Namen sind nicht widersprüchlich, denn der Berg trägt die Ruine einer ehemaligen Wallfahrtskapelle, die ursprünglich wohl der heiligen Ottilie, der Schutzpatronin der Blinden geweiht war. Die Ersterwähnung reicht bis in das 12. Jahrhundert und viele Heilungssuchende scheinen bis in das 16.Jahrhundert die unterhalb des Ortes gelegene Ottilienquelle (eine typische Schichtquelle über einem Stauhorizont im oberen Buntsandstein/Röt)) und die romanische Kapelle besucht zu haben.
Örtliche Handwerker haben die Quelle mit Einfühlungsvermögen und handwerklicher Kunst gefasst, wobei sicherlich der Bezug zur natürlichen Quelle reduziert wurde.
Wer aber vermutet schon, dass dieser Kapellenberg eine geologische Besonderheit darstellt?
Dazu müssen wir einen Exkurs in die Erdgeschichte unserer Heimat machen.
Abb.4 (Entwurf Trott) zeigt ein sogenanntes Idealprofil, das die unterschiedlichen Gesteinsschichten aus unterschiedlichen Epochen der Erdgeschichte, die über unser Heimatgebiet vor dem Tertiär lagen, zeigt. Diese Schichtenpakete hatten über die letzten 300 Millionen Jahre eine gewaltige Stärke von mehreren Hundert Metern erreicht.
Über dem Rumpf des teilweise wieder abgetragenen sogenannten „Variskischen Gebirges“ (Karbon) liegen waagerecht die Schichten des Mesozoikums (Erdmittelalter), wohl mit Ausnahme des mittleren und jüngeren Jura und der Kreide. Waagerecht, weil häufig in einem Meer entstanden (z.B. Muschelkalk, Jura) und weil es keine größeren Verschiebungen gab. Das sollte sich aber am Ende der Kreidezeit ändern.
Kehren wir jedoch in unsere Jetztzeit (Quartär) zurück, müssen wir erkennen, dass wir viele Gesteine nicht mehr oder nur noch in Resten wiederfinden.
Abb. 5 zeigt das gegenwärtige vereinfachte Profil von der Frankenschwelle bis vor den sogenannten Kleinen Thüringer Wald. ( Entwurf Trott auf der Grundl. der Geolog.Karte des TLUG)
(Abk.: mu unterer Muschelkalk, so oberer Buntsandstein, mm,mu mittlerer und unterer Buntsandstein, Z Zechstein)
Bis in das Tertiär löste die Kollision der afrikanischen Platte mit der eurasischen Platte die sogenannte alpidische Gebirgsbildung aus. Nicht nur Faltengebirge wurde gehoben, übereinander geschoben, sondern auch ein gewaltiger Seitendruck nach Norden ließ an Bruchlinien Teile des alten Variskischen Gebirges (Karbon) in die Höhe brechen. Sogenannte Bruchschollengebirge (fast alle deutschen Mittelgebirge) entstanden. Die ursprünglich waagrechten Deckschichten wurden mit den Gebirgen gehoben und sofort der verstärkten Abtragung preisgegeben, so dass sie heute auf den Gebirgen nur noch selten in eingeklemmte Schollen nachweisbar sind.. Die Schichten im Gebirgsvorland wurden schräggestellt und die höher liegenden Gesteinspakete erfuhren eine stärkere Verwitterung und Abtragung als tiefer liegende Schichten. Das erklärt, warum zwischen der Frankenschwelle (unterer Wellenkalk) und dem Gebirge die Gesteine des Jura, des Keupers und sogar des Muschelkalks (oberer und mittlerer) fehlen.
Und jetzt kommen wir zur Ausnahmestellung des Kapellenberges von Ehrenberg. Das Foto entstand in einem versteckten, niedergelassenen Steinbruch an der Nordflanke des Berges und zeigt uns eindeutig Gesteine des unteren Wellenkalks, der erwartungsgemäß verschwunden sein müsste. Hier liegt ein Beweis, dass die Schichten der heutigen Schichtstufe südlich der Werra noch vor dem Tertiär unsere gesamte Heimat bedeckt haben müssen. Der Berg, an einer Störung gelegen (s. auch Nadelöhr), hat seine Verbindung zur nach Süden abtauchenden Muschelkalkschicht „verloren“. Geologen nennen einen solche Erhebung „Zeugenberg“. So ist der Kapellenberg von Ehrenberg mit seinem flach auslaufenden Rötsockel (Rest des oberen Buntsandsteins) und seinem unteren Muschelkalk eine bemerkenswerte geologische Besonderheit unserer Region (s. auch Apfelberg)!
Die Ehrenberger haben einen besonderen Bezug zu ihrem Berg. Sie pflegen die Reste der Kapelle und gehen behutsamer mit menschlichen Eingriffen um. Vielleicht findet sich auch noch eine Abbildung, die den Ottilienberg in seinem ursprünglichen Aussehen, ohne die kalkuntypische Nadelwaldbedeckung, zeigt. Oder habe ich die Zukunft vorweggenommen?
Text & Fotos: Wilfried Trott, Weitersroda