Perspektivwechsel schärfen den Blick fürs Wesentliche
Eine etwas andere Sichtweise:
Schleusingen. So ein Jahreswechsel eignet sich nicht nur zum vorweihnachtlich andächtigen Innehalten, Jahres-Resümee ziehen und Festtagsschlemmen. Er kann durchaus auch für neue Erfahrungen genutzt werden. Gerne möchte ich Ihnen von meinem letzten Monat des Jahres 2018 berichten. Ein Monat in der Gastronomie und das zur Weihnachtsfeier-Hochphase inklusive Feiertage und Silvester!
In den letzten Monaten habe ich oft vom Dienstleistungsgedanken in der Verwaltung gesprochen und geschrieben. Eine hiesige Tageszeitung überschrieb im Wahlkampf 2018 mein Porträt mit „Herzblut-Dienstleisterin“. Da ich ein großer Verfechter des vorgelebten Beispiels bin, habe ich mich für einen persönlichen Perspektivwechsel sehr gerne hinter „Häppchenbuffet“ und Tresen begeben. Ich habe Getränke serviert, Teller hin und wieder abgeräumt und mich nach besten Kräften bemüht, den Gästen eine gute Zeit zu ermöglichen. Herzblut-Dienstleistung eben. Genau wie meine neuen Kollegen auf Zeit auch.
Ich habe aufgehört zu zählen, wie oft mir diese eine ganz spezielle Frage gestellt wurde: „Frau Kern-Ludwig, WAS machen SIE denn hier?“ Manchmal ganz offen, oft aber auch verschmitzt hinter vorgehaltener Hand, als täte ich etwas nicht Standesgemäßes. Witzig war der immer gleiche irritierte erste Blick. Ehrlicherweise war dieser nicht wirklich verwunderlich, kannten mich die Meisten durch Job und Ehrenamt doch nur von ihrer Seite des „Häppchenbuffets“.
Ich kann Ihnen versichern – am Verhalten als Gast können Sie die wahre Größe eines Menschen erkennen. Dabei ist es völlig unerheblich, wie dick das Portemonnaie ist. Entscheidend ist, mit welcher Haltung ein Gast der „Bedienung“ begegnet. Schätze ich es wert, dass mir das Essen serviert oder mein dreckiges Geschirr abgeräumt wird? Benutze ich die kleinen Worte „Bitte“ und „Danke“ als Zeichen der Achtung sowie einer guten Kinderstube? Huscht einfach mal ein kleines Lächeln auch über mein Gesicht, wenn mir der Koch zulächelt?
Als Gäste erwarten wir zu recht stets zuvorkommenden und freundlichen Service. Allerdings hat jeder, der in dieser Branche Tag für Tag sein Bestes gibt, den gleichen Respekt auch von uns verdient. Das habe ich nicht immer so erlebt. Nicht selten waren es die vermeintlich ganz „Großkopferten“, deren gute Kinderstube im Verborgenen blieb. Schade eigentlich. Vielleicht täte gerade diesen Personen ein ähnlicher Perspektivwechsel auch einmal gut!
Ich durfte lernen, dass die Gastronomie wirklich ein beinhartes Geschäft ist. Das gilt sowohl für den körperlichen und zeitlichen Einsatz als auch für die wirtschaftliche Situation. Von außen sieht alles ganz leicht aus. Diverse Restaurant-TV-Shows mit Rach, Rosin & Co. gesehen zu haben, macht jedoch aus keinem von uns einen Gastro-Experten. Insider-Wissen bekommt man tatsächlich nur durchs „Selber-Tun“! Das gilt im Übrigen nicht nur für die Gastronomie, sondern generell.
Mir ist sehr wohl bewusst, dass nicht jeder einfach mal so für einen Monat den Job wechseln kann. Umso dankbarer bin ich, diese Möglichkeit bekommen zu haben und ich so branchenübergreifend neue Erfahrungen sammeln konnte.
Vielleicht muss es ja auch nicht gleich die Gastronomie oder ein ganzer Monat sein, um die eigene Perspektive einmal wieder zu verrücken.
Gehen Sie als Chef doch einmal einen Tag zurück an die Basis. Nicht als Chef, sondern als ganz normaler „Mit-Arbeiter“. Das wäre ja auch ein Anfang. Einfach aus Mitarbeiterperspektive erleben, was diese leisten und mit welchen Fallstricken sie kämpfen. Das bringt mehr, als die endlosen und ermüdenden Runden am Besprechungstisch! Insbesondere bringt es wieder Achtung vor dem, was andere leisten.
Sollten Sie jetzt denken, ich „Schreiberling“ spinne wohl, schließlich sind SIE doch der Chef, so sei Ihnen Folgendes immer bewusst: „Wer sich zu groß für kleine Dinge fühlt, ist in Wirklichkeit zu klein für die wirklich großen Dinge.“ Chefs sollten immer beispielgebende Herzblut-Dienstleister sein – für Kunden und Mitarbeiter gleichermaßen.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen einen klaren Blick fürs Wesentliche, ein stets wertschätzendes Miteinander und ein spannendes Jahr 2019!
Kathrin Kern-Ludwig
Schleusingen
Foto: Fotolia