Die Grüne Woche in Berlin – Zwei Seiten einer Medaille
Leserbrief. Während sich in der Halle ein Ministerpräsident auf einer Kinderrutsche vergnügte und ein Landrat historisches Küchengerät schnitzte, demonstrierten draußen über 25.000 Verbraucher und Verbraucherinnen für eine enkeltaugliche Landwirtschaft. Unter dem Motto „Wir haben es satt!“ jährte sich zum zehnten mal Deutschlands größter Verbraucherprotest.
Dazu aufgerufen hatten nationale und internationale Umwelt- und Verbraucherschutzverbände als auch landwirtschaftliche Aktionsbündnisse. Die Präsenz von mehr als 300 überwiegend ökologisch arbeitenden Bauern mit ihren Traktoren würde durch die Teilnahme von Veredelungs- und Vermarktungsbetrieben unterstützt. Teilnehmer als auch Veranstalter prangerten eine verfehlte EU-Agrarpolitik an, die rückwärtsgewandt die Grundlagen einer zukunftsträchtigen Landwirtschaft zerstört. Nur wenig bis gar keinen Handlungsbedarf in dieser Angelegenheit sieht dagegen Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner. Ihr Herz schlägt für die wachstumsorientierte Agrarindustrie mit all ihren negativen Konsequenzen für Mensch, Umwelt und Klima.
Tags zuvor nutzte das Agrarbündnis „Land schafft Verbindung“, ein Sprößling des deutschen Bauernverbandes, die Gelegenheit gegen die bevorstehenden Reglementierungen bezüglich Düngung und Pestizideinsatz zu protestieren. Klimaschutz, Tierschutz, Umweltschutz, Verbraucherschutz – Fehlanzeige, denn diesem Bündnis geht es nur um Besitzstandswahrung und möglichst ein – weiter wie bisher.
Bei ihren Forderungen nach höheren Verbraucherpreisen stellt sich die Frage: Wofür? Die einzige Rechtfertigung wäre die Verbesserung der Qualität, durch eine flächendeckende Anerkennung ökologischer Tier- und Bodenschutzstandards. Da unser Essen schon längst zum Politikum verkommen ist, hat unser Konsumverhalten auch in der 3. Welt gravierende Auswirkungen.
In Brasilien werden Indigene Völker vertrieben um ihren Urwald für den Anbau von genmanipuliertem Soja zu roden, welches dann in den Futtertrögen auch deutscher Mastbetriebe landet. Das Ergebnis ist dann eine Fleischüberproduktion die zu Dumpingpreisen in den deutschen Einzelhandel gelangt und auf den südlichen Weltmärkten, stark subventioniert, für den Niedergang regionaler kleinbäuerlicher Betriebe sorgt. Kein Wunder also, dass die Demonstration von „Land schafft Verbindung“ fast ausschließlich aus Traktoren bestand und auf Bürgerbeteiligung weitgehend verzichten musste. Ein Großteil der deutschen Verbraucher will eben etwas anderes. Man ist durchaus bereit, für fair und umweltschonend produzierte Lebensmittel mehr Geld auf den Tisch zu legen, erst recht wenn dabei Regionalität ins Spiel kommt.
Die konventionelle Landwirtschaft pauschal zum alleinigen Sündenbock einer seit Jahren völlig verfehlten Agrarpolitik zu machen, wäre zu einfach und schlichtweg falsch. Die Betriebsentwicklungen und Arbeitsweisen sind politisch gewollt und entsprechen den gesetzlichen Vorgaben.
Eine Hauptursache dieser Fehlentwicklung ist eine seit Jahrzehnten an alle Agrarbetriebe ausgezahlte Flächenprämie von ca.300 Euro/ha und Jahr. Dabei wurden bereits mehr Großbetriebe teils mit Millionenbeträgen zugeschüttet und waren damit in der Lage, Landzukäufe in Dimensionen zu tätigen. Bei Kleinbetrieben reichte es oft trotz Subventionen nicht zum Überleben, was ein beispielloses Höfesterben auslöste. Die Großen werden größer und die Kleinen halten kaum noch mit.
Nun steckt man in der Sackgasse, welche man erfahrungsgemäß immer nur in eine Richtung verlassen kann. Erst wenn sich die Förderkriterien ausschließlich auf eine naturnahe, nachhaltige und tierwohlkonforme Bewirtschaftung orientieren, kann der Teufelskreis durchbrochen werden. Beispielgebend für die Machbarkeit ist der ökologische Landbau welcher 12 Prozent der deutschen Betriebe ausmacht. Dort gibt es für Düngung und Pflanzenschutz seit langem strengste Vorgaben. Und das ist gut so. Für die verbleibenden 88 Prozent bleibt zu hoffen, daß man die Dramatik der Situation erkennt und zum Umdenken bereit ist.
Damit und mit der entsprechenden politischen Unterstützung hätte man die Chance, das verloren gegangene Vertrauen des Verbrauchers zurückzugewinnen.
Frank Schelhorn
Mitglied der ABL Hildburghausen
Foto: Privat
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