Wenn Ihr Demokraten sein wollt, redet miteinander!
Leserbrief. Ich wurde 1973 wegen versuchter Republikflucht in der damaligen CSSR festgenommen und nach Annaberg- Buchholz überführt, wo man mich 3 Tage verhörte. Die Verhöre, die während der Nachtzeit durchgeführt wurden, verfolgten nur ein Ziel und das war ein Geständnis mit psychologischer Zermürbungstaktik zu erzwingen.
Nachdem ich das Geständnis unterschrieben hatte, wurde ich nach Zwickau in die dortige U-Haftanstalt verbracht, wo ich dann mehrere Tage keine Nahrung mehr zu mir nahm und die Ausweisung in die damalige BRD verlangte, da die Schwester meiner Großmutter dort lebte und sie und ihr Mann keine eigenen Kinder hatten.
Im Haftkrankenhaus Leipzig, wohin man mich überführte, wurde ich durch Spezialbehandlung zur Nahrungsaufnahme animiert. Man verbrachte mich in die U-Haft in der Kästner Straße in Leipzig. Dort konnte der LKW, der die Gefangenen transportierte, nicht in die Haftanstalt einfahren, da die Schleuse nicht hoch genug war. Ich und mehrere Mitgefangene stiegen aus und mussten durch ein Spalier von Gefangenenwärtern in die Schleuse gehen. Ich sprang urplötzlich zwischen zwei Wärtern durch eine Lücke und rannte so schnell ich konnte. Auf Grund meiner schlechten körperlichen Verfassung holten mich die Vollzugsbediensteten ein und führten mich zurück in die Haftanstalt. Dort wurden mir Handschellen angelegt, wobei die Hände rücklings fixiert wurden.
In der Schleuse standen mehrere Vollzugsbeamte und ein Major. Ich musste vor einem Stapel Decken Aufstellung nehmen, der Major nickte mit den Kopf und ein Vollzugsbeamter schlug mir mit der blanken Faust ins Gesicht. Ich fiel rücklings über einen Stapel Decken, schlug mit den Hinterkopf auf den Betonfußboden auf und verlor kurz das Bewusstsein. Halb im Unterbewusstsein bekam ich mit, wie 2 Vollzugsbeamte mich die Treppe hinauf schleiften und in eine Zelle verbrachten. Dort legte man mich auf eine Holzpritsche, wobei ich die Handschellen vor den Körper fixiert bekam und damit schlafen musste.
Ich verlor durch den Faustschlag ins Gesicht Schneidezähne, die ausbrachen, und kurz vor Haftentlassung erhielt ich einen Zahnersatz auf Staatskosten. Ich verbrachte 3 Jahre wegen mehrfach versuchter Republik-Flucht in DDR-Gefängnissen, u. a. im Zuchthaus Torgau. In Leipzig war ich fast 3 Monate in Einzelhaft und man sagte mir damals zu, das der Vorfall nicht in die Akten kommt, wenn ich darüber nicht rede. In Untermaßfeld verhörte mich ein Hauptmann und fragte mich hinterlistig, warum ich so lange in Leipzig in der U-Haft in Gewahrsam war und ich erzählte ihm von meinem Fluchtversuch und die erfolgte Misshandlung. Der Major hatte Wort gehalten, doch der dienstgeile Hauptmann nicht.
Ich sagte vor dem Kreisgericht Suhl, wo ich zu 3 Jahren verurteilt wurde, über die mir widerfahrene Misshandlung aus, doch das Hohe Gericht nahm es nicht zur Kenntnis. Nach meiner Entlassung machte ich eine Anzeige gegen den Strafvollzugsbeamten. Ich erhielt als Antwort, der Bedienstete hätte an dem betreffenden Tag keinen Dienst gehabt, sein Name ist mir bekannt.
Nach der Wende machte ich noch einmal Anzeige, doch es passierte nichts.
Mein Fazit: die Täter sind ohne je zur Rechenschaft gezogen worden zu sein weiter unter uns. Wir hatten die Situation schon einmal in Deutschland und nach der sogenannten Wende wurde ein Unteroffizier der Grenztruppen Minister in Thüringen und ein ehemaliger Grenzpolizist sogar Landrat. Im öffentlichen Dienst wurden ehemalige Genossen eingestellt, die wiederum ihre guten Freunde aus DDR-Zeiten bevorzugten.
Es gibt ein Gesetz, welches besagt, das ehemalige politisch Verfolgte bei Bewerbung im öffentlichen Dienst anderen Bewerbern bei gleicher beruflicher Qualifikation vorzuziehen sind. Doch Gesetze können in Deutschland leider so ausgelegt werden, wie es denen, die an der Macht sind, von Nutzen ist und wenn einige nicht konform sind, werden diese Gesetze durch Anwälte so lange blockiert, bis der zeitnahe Bezugspunkt verloren geht. Bedingt durch eine immer schnelllebigere Zeit unter Einschluss und Einfluss der Digitalisierung.
Nach wie vor haben Parteien wie die CDU viele ehemalige Steigbügelhalter des SED-Regimes übernommen. Gauck beschäftigte sogar des besseren Durchblickes halber ehemalige Stasi-Mitarbeiter in seiner Behörde weiter. Ehemaligen, durch die SED politisch Inhaftierten verweigerte man die Mitarbeit in der Stasi-Aufarbeitungsbehörde mit der Begründung, wer seine Bespitzler kennt, wird sich an ihnen rächen.
Wer der Auffassung ist, Gleiches mit Gleichem zu vergelten, handelt nicht christlich und auch nicht menschlich. Hier wird bewusst Hass geschürt, denn wer so denkt, ist kein Demokrat. Man muss auch vergeben können, aber man darf solchen Menschen, die sich aktiv an solchen Zuständen zu DDR-Zeiten beteiligt haben, nicht wieder in Machtpositionen verhelfen, wie es u. a. die CDU gemacht hat.
Wenn ich heute die angeblich friedlichen Revolutionen auf der Welt sehe, wo sich Gruppen gegenseitig angreifen, hat das nichts mehr mit friedlich zu tun. Denkt mal darüber nach, egal ob links oder rechts und respektiert die Kultur und Lebensweise anderer Länder. Deutschland hat im eigenen Land genug Baustellen und sollte sich in der Weltpolitik auf Grund seiner Vergangenheit, die jeden Tag erwähnt wird, neutral verhalten.
Mein persönlicher Appell an alle, die sich Demokraten nennen: Setzt euch an einen Tisch, redet miteinander und rennt nicht schreiend, fremdes Eigentum zerstörend auf der Straße herum und vermummt euch aus Feigheit noch.
Ich habe wegen Republik-Flucht eingesessen, weil ich nicht zur Armee wollte. Mein Urgroßvater, den ich noch kennenlernen durfte, sagte immer, wer nach dem Krieg wieder eine Waffe anfasst und auf Menschen schießt, die er nicht kennt, dem soll die Hand abfaulen.
Alle Parteien sind leider nicht gewillt, ohne Vorurteile miteinander zu reden.
Jürgen Fuhrmann
Zella-Mehlis
zzt. amt. Landesvorsitzender
der Vereinigung der Opfer des Stalinismus (VOS) Thüringen
Foto: Pixabay
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