Leben in der „Sperrzone“
Streufdorf. Im 30. Jubiläumsjahr zur Deutschen Einheit werden viele Rückblicke gehalten und Erinnerungen werden wach.
Dabei können die Bewohner der ehemaligen „Sperrzone“ von besonderen berichten. Sie wohnten in einen Gebiet nahe der Innerdeutschen Grenze, das zum Sperrgebiet erklärt wurde. Hier durften sich nur Personen aufhalten, die einen gültigen Stempel im Personalausweis hatten, beziehungsweise einen Passierschein zum Einreisen. Diese Dokumente mussten beim Betreten und Verlassen der Sperrzone vorgezeigt und auch täglich mitgeführt werden. Die Bewohner hatten sich an diese und viele andere Repressalien mit der Zeit gewöhnt und nahmen es für gegeben hin. Als sie dann noch einen finanziellen Ausgleich bekamen, wurden sie von außerhalb Wohnenden teilweise sogar beneidet.
Anders war es bei den Leuten, die im Schutzstreifen, unmittelbar direkt an der Grenze Arbeiten verrichten mussten. Hier grenzte die Beeinträchtigung zum Teil an Schikane, was nachfolgender Fall zeigt. Um Arbeiten, die in den sogenannten „Schutzstreifen“ durchführen zu dürfen, musste jedes Jahr die Leitung der LPG am Jahresanfang alle Genossenschaftsbauern, die dafür in Frage kamen listenmäßig auf der zuständigen Grenzkompanie melden. Dafür gab es für jeden einen Passierschein, der aber nicht ausgegeben werden durfte.
Wenn Arbeiten anstanden, musste der jeweilige Leiter eine Woche vorher persönlich die Leute und Maschinen auf der Kompanie schriftlich melden, so auch in diesen Fall geschehen. Zum vorgesehenen Zeitpunkt standen die Traktoristen mit ihren Maschinen am Gitterzauntor in Billmuthausen. Zwei Postenpaare kontrollierten die Passierscheine. Das Tor wurde erst geöffnet, als sich das eine Postenpaar hinten an der Grenze meldete. Die Arbeiten gingen zügig voran und das Tor wurde bei jeder Fuhre geöffnet. Nach Feierabend wurden die Grenzer gebeten, es zu gestatten, die Traktoren mit ihrer angehängten Zuckerrübenrotetechnik im Streifen zu belassen. Nach einem Anruf in der Kompanie wurde es genehmigt.
Nachts gegen zwei Uhr weckte der ABV aus Hellingen den Komplexleiter mit den Worten: „In Billmuthausen stehen mehrere Traktoren im Schutzstreifen, die müssen sofort raus.“ Es half keine Widerrede, auch wenn der Chef wusste, dass einige nicht ansprangen. So fuhr er nach Lindenau zu einem Traktoristen, der als hilfsbereit bekannt war und dessen Traktor auch ansprang. Er weckte den Mann: „Komm Werner, wir müssen nach Billmuthausen und die Maschinen aus der Grenze holen.“ Kopfschüttelnd und ohne Worte ging es dann los. In Billmuthausen warteten schon die Grenzer am geöffneten Tor. Ein Traktor nach dem anderen wurde angeschleppt und herausgefahren. Gegen fünf war alles erledigt und um acht Uhr wurde das Tor wieder geöffnet.
Lothar Götz
Streufdorf
Foto: Lothar Götz