Hauptmann: Festhalten an Nord Stream 2 ist unausweichlich
Berlin. Vor einigen Tagen hat sich der Verdacht bestätigt, dass Alexej Nawalny mit dem Nervenkampfstoff Nowitschok vergiftet wurde. Dieser Mordversuch an dem bekannten russischen Oppositionspolitiker ist klar zu verurteilen. Das Verbrechen muss lückenlos aufgeklärt werden. Jedoch sollten alle Beteiligten besonnen bleiben. Wir sollten keine voreiligen Schlüsse ziehen. Die Vergiftung von Nawalny mit Forderungen nach einem Stopp der geplanten Ostseepipeline Nord Stream 2 zu verquicken halte ich für falsch.
Die aktuell geführte Debatte ist unehrlich, denn eines ist klar: Deutschland braucht die Pipeline mehr als Russland. Nord Stream 2 soll zusätzliches russisches Gas nach Deutschland liefern und wird derzeit neben der bereits seit 2012 in Betrieb befindlichen Gaspipeline Nord Stream 1 gebaut. Das Projekt sollte ursprünglich bereits Ende letzten Jahres fertiggestellt und in Betrieb genommen werden. Nachdem jedoch die USA die am Bau beteiligten Firmen mit schwerwiegenden Sanktionen bedrohten, geriet das umstrittene Projekt vorübergehend zum Erliegen.
Es ist absurd, zum jetzigen Zeitpunkt einen Stopp der Pipeline zu verlangen. Weder haben wir gesicherte Erkenntnisse über die tatsächlichen Drahtzieher des Mordanschlages an Nawalny, noch liegt es im deutschen oder europäischen Interesse, uns von russischen Erdgaslieferungen abzuschneiden. Gerade nach dem deutschen Ausstieg aus der Kernkraft und der Kohle nimmt Gas als sauberer und relativ preiswerter Energieträger eine wichtige Schlüsselrolle für das Gelingen der Energiewende ein.
Bedenken hinsichtlich einer zu großen Energieabhängigkeit von Russland halte ich für äußerst zweifelhaft. Selbst in den dunkelsten Stunden des Kalten Krieges hat Russland seine Lieferverträge stets eingehalten. Würden wir aus Nord Stream 2 aussteigen, wäre dies nicht zuletzt auch aus geopolitisch-strategischen Gründen unklug. Russland würde sein Gas dann wohl an China verkaufen müssen. Kann es wirklich im deutschen und europäischen Interesse sein, dieses Machtgefüge zweier autoritärer Staaten zu stärken? Zudem ist Wladimir Putin abhängig von Gasexporten, sie sind die ökonomische Lebensader, die Russlands Wirtschaft am Leben hält. Wir können kein Interesse an einem Staatszerfall Russlands an der EU-Grenze haben und an einem russischen Staat, der Löhne und Renten nicht bezahlen kann und damit den Migrationsdruck auf die EU erhöhen würde.
Ein Festhalten an Nord Stream 2 ist für mich unausweichlich, zumal die Pipeline bereits zu 97 Prozent fertiggestellt ist und rund 10 Milliarden Euro gekostet hat. Würde die Bundesregierung die Fertigstellung aus politischen Gründen stoppen, wäre dies ein enormer wirtschaftlicher Schaden. Die betroffenen Firmen könnten von der Bundesregierung Schadensersatz in Milliardenhöhe fordern. Diese Kosten müssten letztlich auf die Steuerzahler umgelegt werden. Für mich ist klar: Wer fordert Nord Stream 2 zu stoppen, trifft damit vor allem Deutschland und Europa.
Mark Hauptmann, CDU
Mitglied des Deutschen Bundestages
Foto: Mark Hauptmann, CDU