Erna Stark: Erinnerung an ein Hildburghäuser Original
Hildburghausen. Viele Hildburghäuser und Bewohner unseres Kreisgebiets dürften sich noch gut an eine kleine Frau erinnern, deren verschmitzt lächelndes Gesicht mit strahlend roten Bäckchen über viele Jahrzehnte aus dem Stadtbild Hildburghausens nicht wegzudenken war. Mit bürgerlichem Namen hieß diese Frau Erna Stark, wurde aber von vielen liebevoll „Klein-Erna“ oder „Blümchen“ genannt. Wer war diese kleinwüchsige Hobbykünstlerin, welcher das Stadtmuseum Hildburghausen im Jahre 2003 eine viel besuchte Sonderausstellung gewidmet hatte?
Erna Stark wurde am 30. August 1921 in Grössin in Hinterpommern geboren. Ihr Vater, Gustav Stark, war Schuhmacher und bewirtschaftete zusammen mit seiner Frau Else (geb. Marquardt) und den fünf Kindern (zwei Jungen, drei Mädchen) einen eigenen Bauernhof. Neben der Arbeit auf dem Feld mussten noch zwei Pferde, fünf Kühe, zehn Schweine und eine Schar Zwerghühner versorgt werden. Die heranwachsende kleine Erna, sie war die zweitälteste der Geschwister, liebte die Arbeit auf dem Hof und war eigentlich, da das Geld für eine Schneiderinnenlehre nicht aufzutreiben war, dafür vorgesehen den elterlichen Hof einmal zu übernehmen. Doch da kam der schreckliche Krieg, den zwar alle Familienmitglieder überlebten, aber in dessen Ergebnis ihre Heimat plötzlich nicht mehr zu Deutschland, sondern zu Polen gehörte.
Es war genau an ihrem 26. Geburtstag, am 30. August 1947, als die Eltern und die drei Töchter – die zwei Söhne waren als Soldaten in Kriegsgefangenschaft geraten – den Hof verlassen mussten und in einem Viehwaggon in ein Flüchtlingslager nach Stettin transportiert wurden. Dieses traumatische Erlebnis des Verlustes der Heimat konnte Erna ihr Leben lang nicht überwinden und lehnte es zeitlebens ab – im Gegensatz zu ihren Geschwistern – dem elterlichen Hof noch einmal einen Besuch abzustatten.
Von Stettin kam die Familie dann nach Masserberg. Hier arbeitete Erna im so genannten Intelligenzheim als Reinigungskraft und begann in ihrer Freizeit zu malen. Der damals in Masserberg weilende Maler und Bildhauer Karl-Heinz Benndorf (1919-1995), welcher sie dabei ein wenig anleitete, fand sie immerhin so talentiert, dass er sie zu einem Kunststudium nach Halle/Giebichenstein bringen wollte. Aber auch für diese Ausbildung fehlte der Familie das Geld.
1954, Erna war mittlerweile 33 Jahre alt, zog die Familie nach Hildburghausen um. Hier arbeitete Erna Stark im Laufe der Jahre ebenfalls als Reinigungskraft in unterschiedlichen Einrichtungen, so z. B. im Krankenhaus, in der Fahrradnetzefabrik, in der Messerschmiede, bei der Verkehrspolizei und privat bei der Lehrerin Frl. Eichhorn. Neben dieser Tätigkeit blieb sie ihrer bäuerlichen Herkunft treu und hielt auf ihrem kleinen Grundstück am Goldberg verschiedene Nutztiere.
Aber auch auf dem Gebiet der Malerei betätigte sie sich weiter. So besuchte sie über lange Jahre in ihrer Freizeit den Malzirkel des bekannten Hildburghäuser Kunstmalers Willi Hopf (1911-2000). Unter seiner Anleitung entstanden einige ihrer schönsten Arbeiten. So entwickelte sich Erna Stark im Laufe der Jahre, vor allem wegen ihrer auffälligen Erscheinung, zu einem stadtbekannten Hildburghäuser Original, hinter dem man auf den ersten Blick sicher nicht eine fleißige Hobbymalerin vermutete.
Ihre Bilder malte Erna Stark fast ausschließlich in Öl. Bei der Auswahl des Maluntergrunds war sie nicht wählerisch. So kam es schon einmal vor, dass sie in Ermangelung einer Holzplatte oder eines Kartons einfach ein Stück Auslegeware oder ein Kuchenblech bemalte. Ihre Motive waren sehr vielfältig. Neben Stillleben und Landschaften, die sie oft nach Vorlagen oder Fotografien malte, spielten auch immer wieder Motive aus ihrer alten Heimat Pommern eine Rolle. So verarbeitete sie wohl vor allem in ihren Bildern mit landwirtschaftlichen Motiven, mit Kindern und zwei Pferden und Schafen ihre Erinnerungen an eine glückliche Kindheit.
Auch Auftragswerke nahm Erna Stark gerne an und porträtierte dann Hunde, Katzen, Papageien oder die Kinder ihrer Auftraggeber. Willi Hopf gab ihr den Tipp, alle Bilder zweimal zu malen, damit sie ein Bild für sich behalten könnte. Bei Erna Stark konnte es schon einmal vorkommen, dass sie das gleiche Motiv in sechs oder sieben verschiedenen Varianten malte. Bei der Bildauswahl zur oben erwähnten Ausstellung des Stadtmuseum im Jahre 2003 lagen dem Museums allein sieben Porträts von Martin Luther vor. Aber auch viele Bedienstete in den Amtsstuben (z. B. Ordnungsamt und Gericht) unserer Stadt, in denen Erna Stark ihre Angelegenheiten zu regeln hatte, wurden im Laufe der Jahre mit vielen Bildgeschenken bedacht und sind zu regelrechten Sammlern ihrer Werke geworden.
Die Malerei Erna Starks würden Kunsthistoriker wohl am ehesten als kindlich naiv bezeichnen und es ist sicher keine große Kunst im herkömmlichen Sinne. Vielmehr ist es die kleine Kunst einer kleinen Frau, die aus einem großen Herzen kam.
Am 25. Februar 2021 verstarb Erna Stark nach kurzer Krankheit im Caritas-Alten- und Pflegeheim Hildburghausen im Alter von 99 Jahren. Den Museumsmitarbeitern und sicher auch vielen Menschen, die sie kannten und mochten, wird ihre kleine Gestalt, gehüllt in einen etwas zu großen Wintermantel und viel zu großen Schuhen und vor allem ihr freundliches Gesicht mit den roten Bäckchen noch lange vor Augen stehen und sicher wird auch dem ein oder anderen noch lange die Erinnerung an ihr freundliches Winken, gepaart mit einem „Tschüühüüüß“ ab und zu ein Lächeln ins Gesicht zaubern.
Michael Römhild
Fotos: Stadtmuseum Hildburghausen