Mutter schreibt wegen Corona-Bildungspolitik Wutbrief an das Thüringer Bildungsministerium
Landkreis Hildburghausen/Erfurt. Aus Wut über die aktuelle Bildungspolitik in der Corona-Pandemie in Thüringen hat eine Mutter einer Grundschulschülerin aus dem Landkreis Hildburghausen einen Brief an das Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport verfasst – mit drastischen Worten. Eine Kopie dieses Schreibens erfolgte ebenso an den Landrat des Kreises Hildburghausen, als auch an die Bundesregierung in Berlin.
Ministerium für Bildung, Jugend und Sport
Postfach 900963
99107 ErfurtBeschwerde zur aktuellen Bildungspolitik in der Corona Pandemie
Sehr geehrte Damen und Herren,
hiermit lege ich stellvertretend für meine Tochter, die gegenwärtig die 3. Klasse einer Grundschule im Landkreis HBN besucht, Beschwerde ein.
Die Kinderschutzrechte sind laut den offiziellen Informationen auf der Internetseite der Bundesregierung noch nicht im Grundgesetz verankert (der Antrag dazu wurde am 20. Januar 2021 gestellt). Zurzeit sehe ich folgende Rechte meines Kindes durch Ihre Politik massiv verletzt und eingeschränkt:
• das Recht auf Bildung,
• das Recht auf Chancengleichheit,
• das Recht auf eine unversehrte körperliche, geistige und seelische Entwicklung.Es steht außer Frage, dass die COVID-19-Pandemie eine ernstzunehmende Gefahr für die Gesundheit der Allgemeinheit darstellt. Als examinierte Gesundheits- und Krankenpflegerin arbeitete ich selbst bis November 2020 zeitweise auf dem Isolationsbereich unseres Kreiskrankenhauses, unter Vollschutz und speziellen Hygieneauflagen.
Ich berufe mich in diesem Schreiben auf die UN-Kinderrechtskonvention „Übereinkommen über die Rechte des Kindes“ von 1990, die 1992 in Deutschland in Kraft getreten ist. Bitte legen Sie besonderes Augenmerk auf folgende 2 der 4 Grundprinzipien:
Kindeswohlvorrang: Das sogenannte Kindeswohlprinzip verpflichtet Gerichte, Verwaltungsbehörden, öffentliche oder private Einrichtungen der sozialen Fürsorge und Gesetzgebungsorgane auf Ebene von Bund, Ländern und Kommunen, bei allen Entscheidungen und Maßnahmen das Kindeswohl und die Interessen von Kindern als einen vorrangigen Gesichtspunkt zu berücksichtigen.
Recht auf Beteiligung: Kinder und Jugendliche sollen die Möglichkeit erhalten, gehört zu werden. Sie dürfen ihre Anliegen und Beschwerden äußern. Bei staatlichen Entscheidungen, die das Kind oder den Jugendlichen betreffen, sind sie zu beteiligen, ihre Meinung muss dem Alter und der Reife entsprechend berücksichtigt werden.
Nach der ersten Schulschließung im Frühjahr 2020 wurde bereits von mehreren Ministern verkündet, dass eine erneute Schulschließung so lange wie möglich hinausgezögert werden müsse. Mittlerweile hat es sich anscheinend in Ihrem Ministerium etabliert, diese Schulschließungen frühestens Freitagmittag ab 11 Uhr für die darauf kommende Woche über soziale Medien zu verkünden.
Weder werden Lehrer oder Schulleitungen offiziell von Ihnen informiert, noch findet ein Austausch mit den Lehrkräften statt, welche die schulische Situation am besten einschätzen können. Die Schulschließung wird komplett vom lokal vorherrschenden Inzidenzwert abhängig gemacht, in keinerlei Relation wird dazu gesetzt, wo die Ausbrüche im Landkreis stattfinden (z.B. schnellte der Inzidenzwert im Landkreis nach oben, weil es in mehreren Pflegeeinrichtungen stations- /bereichsgebunden zum massenhaften Ausbruch von Covid-19-Erkrankungen unter dem Personal und den Bewohnern/ Patienten kam, was in keinerlei Bezug zur Schulöffnung steht).
Das Recht auf Chancengleichheit sehe ich insofern verletzt, da wir in unserem Landkreis kaum bis gar nicht die Möglichkeit des digitalen Schulunterrichts wahrnehmen können. Zwar bin ich glücklicherweise in der Lage die Materialien zur Erfüllung der Wochenpläne selbst auszudrucken, aber die Internetanbindung ist so schlecht, dass die Teilnahme an Videokonferenzen für meine Tochter kaum bis gar nicht möglich ist. Die elektronischen Endgeräte, die wir so dringend benötigten, konnte ich meiner Tochter nur mit familiärer finanzieller Unterstützung zur Verfügung stellen. Nicht alle Eltern sind dazu in der Lage. Sie sichern zwar Eltern mit Anspruch auf Grundsicherung den Ersatz der finanziellen Ressourcen zum Kauf dieser Endgeräte zu, aber alleinerziehende und alleinverdienende Eltern fallen mit dieser Politik wieder durch das Raster.
Seit nunmehr 12 Monaten erlebe ich, wie Ihre Bildungspolitik die seelisch- geistige Gesundheit meiner Tochter, sowie ihre schulische Laufbahn massiv beeinträchtigen und schädigen. Gesundheitlich hat sich ihr Zustand insofern verschlechtert, dass sich ihre Migräneattacken nahezu verdreifacht haben, sie ein erhöhtes Suchtverhalten im Bezug auf soziale Medien zeigt, kaum noch das Haus/ die Wohnung verlassen will, ihre Eigeninitiative zum selbständigen Arbeiten nahezu verschwunden ist, sie deutliche Anzeichen einer Stimmungsverflachung (Depression) zeigt, ihr Schlafverhalten gestört ist (nächtliches Zähneknirschen) und sie gehäuft Angst vor der Zukunft verbalisiert.
Der Verlust ihres normalen Schulalltags führt zu großer Unsicherheit, einer Verzerrung der Selbstwahrnehmung und dem Verlust des Selbstwertgefühls.
Hiermit fordere ich Sie zu folgendem auf:
• Lassen Sie Schulen und Kindergärten unabhängig vom lokalen Inzidenzwert geöffnet! Unsere Kinder haben ein Recht auf Bildung, Chancengleichheit und unversehrte körperliche, seelische und geistige Entwicklung! Schlüssige Hygieneregelungen liegen in jeder Einrichtung vor!
• Fordern Sie die Kommunen dazu auf, auch für Grundschulen und Kindergärten Eltern- Kind-Gremien zu bilden, damit die Kinder Ihr Recht auf Beteiligung erhalten!
• Verändern Sie Ihre Richtlinien zur Bereitstellung der elektronischen Endgeräte, damit auch wirklich alle Kinder und deren Eltern davon profitieren können!
• Nehmen Sie die Gesetze zum besonderen Schutz von Kindern und Heranwachsenden schnellstmöglich in das Grundgesetz auf!
Ich distanziere mich ausdrücklich von allen im Bundestag sitzenden Parteien. Dieses Schreiben hat keinerlei parteigebundene Bedeutung, da ich selbst keiner Partei zugehörig bin.
Eine Kopie dieses Schreibens erfolgt ebenso an den Landrat des Kreises Hildburghausen, die lokalen Pressevertreter, als auch an die Bundesregierung in Berlin.
Ich erwarte eine Antwort von Ihnen auf dieses Schreiben bis zum 31. März 2021. Sollte ich keine Antwort erhalten, werde ich mich über die Möglichkeit weiterer Schritte, auch im rechtlichen Rahmen, informieren.
Hochachtungsvoll
Tina B.
(Der Name ist der Redaktion bekannt)
Quelle: BMFSFJ: Kinderrechte ins Grundgesetz (bundesregierung.de)
Foto: marco fileccia on Unsplash
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