Erfurter COSMO-Studie: Erfragte Impfbereitschaft reicht nicht für eine Herdenimmunität
Erfurt. In der neuesten Erfurter Studie „Covid-19 Snapshot Monitoring“ (COSMO) gehen die Studienmacher davon aus, dass die erfragte Impfbereitschaft nicht für eine Herdenimmunität reicht. Kinder wurden in der Studie noch nicht eingerechnet. In den Medien wird das Thema Impfneid stark thematisiert, möglicherweise wird es stärker betont, als es tatsächlich vorkommt. Alle 2 Wochen fragen Wissenschaftler der Erfurter Universität was die Menschen über die Pandemie denken. Eine Zusammenstellung der wichtigsten Befunde mit Abbildungen und Empfehlungen finden Sie hier:
Impfbereitschaft und Bereitschaft, Kinder impfen zu lassen
Die Impfbereitschaft ist stabil bei ca. zwei Dritteln (65 Prozent). 31.5 Prozent der bereits geimpften Personen sind aus dieser Berechnung ausgeschlossen. Sollten sich alle, die dazu bereit sind, auch tatsächlich impfen lassen, so ergäbe sich aus den Geimpften und den Impfbereiten eine Impfquote unter Erwachsenen zwischen 18 und 74 Jahren von 76 Prozent. Hierbei ist relevant, dass bei diesen Berechnungen Kinder und Jugendliche noch nicht eingerechnet sind – auch ihre Impfung trägt zum Herdenschutz bei.
Solange sie noch nicht geimpft werden können, ist benötigte Impfquote also noch höher. Auch wenn die Impfbereitschaft in der Nähe der Herdenimmunitätsschwelle liegen würde, wird nicht aus jeder hohen Impfbereitschaft automatisch auch eine Impfung. Mit einem für Kinder zugelassenen Impfstoff würden derzeit 46 Prozent der Eltern ihre Kinder (eher) impfen lassen. 54 Prozent der Eltern würden das bei Empfehlung des Impfstoffs im Rahmen einer Impfaktion an der Schule machen. Schulimpfungen können Barrieren senken und die Impfquote erhöhen: Aktuell liegt das Potenzial, durch Schulimpfungen die Impfquote unter Kindern zu steigern, bei ca. 8 Prozent. Für die Bereitschaft, eigene Kinder gegen COVID-19 impfen zu lassen, ist die wahrgenommene Sicherheit der Impfung relevant sowie die Wahrnehmung, dass COVID-19 eine ernstzunehmende Erkrankung ist und das Bedürfnis, andere durch die Impfung zu schützen bzw. nicht trittbrettzufahren.
Empfehlungen:
• Sich impfen lassen muss so einfach wie möglich sein: Selbst wenn sich alle impfbereiten Personen impfen lassen und die Impfbereitschaft für Kinder noch steigt (bei Erwachsenen wurde auch ein Anstieg der Impfbereitschaft mit der Zulassung beobachtet) ist die dann erreichte Impfquote möglicherweise zu niedrig für Herdenimmunität. Daher müssen Barrieren jeder Art, vor allem aber praktischer Art, reduziert werden und Impfen so einfach wie möglich werden. Sehr relevant wird vermutlich das Impfen am Arbeitsplatz und im Bildungssektor – so können große Gruppen mit vielen Kontakten erreicht werden und der Aufwand, an eine Impfung zu kommen, wird reduziert.
• Durch Schulimpfungen könnte nach den aktuellen Daten die Impfquote gesteigert werden.
• Kinderimpfungen gegen COVID-19 sollten vor allem mit einfach verfügbaren und gut verständlichen Informationen unterstützt werden. Informationen zur Sicherheit und Risiken der Impfung, über Krankheitsrisiken und den Schutz anderer sind besonders relevant (“Ich schütze dich – du schützt mich. Mehr Sicherheit in der Schule – mehr Sicherheit in der Familie“ o.ä.).
Impfneid
Insbesondere jüngere Personen unter 60 behalten ihren Impfstatus eher für sich. Auch gaben sie häufiger als Personen über 60 Jahren an, sich für ihre Impfung rechtfertigen zu müssen oder das Gefühl zu haben, sich beim Impfen vorgedrängelt zu haben. Insgesamt ist dieses Phänomen jedoch nicht sehr verbreitet (insgesamt niedrige Zustimmungswerte). Bei einer experimentellen Untersuchung des Phänomens „Impfneid“ konnte nicht nachgewiesen werden, dass junge (24 Jahre alte) geimpfte Personen stigmatisiert oder moralisch abgewertet würden. Wer meint, die Grundsätze der Impfpriorisierung genau zu kennen, steht Geimpften etwas positiver gegenüber. Wurde keine Begründung der Impfung gegeben, nahmen die Befragten an, dass die Person zu einer Priorisierungsgruppe gehört.
Schlussfolgerung:
• In den Medien wird das Thema Impfneid stark thematisiert, möglicherweise wird es stärker betont, als es tatsächlich vorkommt.
Potenzielle Auswirkungen von Lockerungen für vollständig Geimpfte und Genesene
Die Befragten sollten sich in zwei Gruppen entweder vorstellen, die Regierung beschließt ab sofort mehr (oder: keine) Lockerungen und Freiheiten für vollständig Geimpfte und Personen, die nach einer COVID-19 Erkrankung immun sind. Es haben sich keine signifikanten Unterschiede in den Verhaltensabsichten der Befragten ergeben: Es zeigte sich nicht, dass sich die ungeimpften Befragten absichtlich anstecken wollen, sich schnellstmöglich um eine Impfung bemühen oder die Priorisierung abschaffen wollen, wenn mehr Rechte und Freiheiten für vollständig Geimpfte oder Genesene gelten.
Aufhebung der Priorisierung
Die Zustimmung zur Aufhebung der Impfpriorisierung ist unter bereits geimpften und noch nicht geimpften Personen etwa gleich (58 Prozent und 61 Prozent). Einer Aufhebung stimmt eher zu, wer eine höhere Impfbereitschaft hat, selbst zu einer Priorisierungsgruppe gehört oder die Maßnahmen ablehnt. Für eine Beibehaltung votiert eher, wer mehr Vertrauen in die Regierung hat und selbst eher zugunsten von Personen mit hohem Risiko auf einen Termin warten würde.
Empfehlung:
• Zusammen mit den Befunden, dass Geimpfte positiver bewertet werden wenn die Priorisierungsgrundsätze bekannt sind, legen die Befunde nahe, dass die Grundsätze noch mal deutlicher gemacht werden sollten, wenn die Priorisierung aufrechterhalten bleibt.
Wer ist für die Impfung verantwortlich?
Die größte Verantwortung sehen die Befragten bei sich selbst, wenn es darum geht, einen Impftermin zu erhalten, gefolgt vom Hausarzt. Dies ist für Geimpfte noch stärker ausgeprägt. Wer unter den Ungeimpften eine hohe Impfbereitschaft hat, fühlt auch eine größere Eigenverantwortung beim Organisieren eines Termins (und umgekehrt). Personen mit niedrigerer Impfbereitschaft sehen auch den Hausarzt und die Behörden in der Verantwortung.
Empfehlung:
• Dieses Muster zeigt, dass es für die Impfbereitschaft förderlich sein kann, die Impfung so einfach wie möglich zu machen und die aktive Ansprache durch Hausarzt und Behörden zu unterstützen.
Eine Zusammenstellung der wichtigsten Befunde mit Abbildungen und Empfehlungen finden Sie im aktuellen Foliensatz.
Der Deutsche Psychologie Preis 2021 geht an Prof. Dr. Cornelia Betsch
Cornelia Betsch, Professorin für Gesundheitskommunikation an der Universität Erfurt, erhält den Deutschen Psychologie Preis 2021. Die 42-Jährige werde für ihre „herausragenden Leistungen“ im Bereich der Gesundheitskommunikation im Allgemeinen und ihren Beitrag zur Bewältigung der Corona-Pandemie im Besonderen gewürdigt, zitierte die Universität Erfurt aus der Begründung der Jury.
Alle 2 Wochen befragen Professorin Betsch und ihr Team die Bevölkerung im „Covid-19 Snapshot Monitoring“ (COSMO) zu deren Wissen über das Coronavirus, Risikowahrnehmung, Schutzverhalten und Vertrauen in politische Entscheidungen. Die Ergebnisse der COSMO-Studie haben für breites öffentliches Interesse gesorgt.
Der Deutsche Psychologie Preis ist mit 10.000 Euro dotiert und soll am 25. November in Berlin verliehen werden.