So klang Werbung für die Stadt Hildburghausen im Jahr 1890
Leserbrief. Statt lokale schlechte Nachrichten aus Hildburghausen in die Welt zu posaunen, sollte man sich diesen Artikel im „Hildburghäuser Kreisblatt“ 1890 zum Vorbild nehmen.
Da schreibt ein Herr R: „Hildburghausen, die Stadt der Schulen, die Stadt der Verschönerung, des Kunstsinns und Fortschritts. Das sind Bezeichnungen und Tatsachen, auf die jeder Bürger und Einwohner stolz sein kann und muß. Welch große Beruhigung und Annehmlichkeit ist es nicht für jeden Bürger und Einwohner hier welcher Familie hat, daß er mit verhältnismäßig wenig Geldopfer seine Söhne und Töchter für die Zukunft in unseren Schulen, man kann sagen, mit die besten des Landes für das spätere Leben nach allen Richtungen vorbereiten und ausbilden lassen kann. – Sei es auf dem Gymnasium, das Seminar, das Technikum, der Bürger- und Gewerbeschule beginnen und vollenden wollen, ist hier in unserem reinlichen schmucken Städtchen Hildburghausen, mit seinem herrlichen Straßen-Neupflaster und Trottoiranlagen, allwo man bei schlechten Wetter trockenen Fußes vom Bahnhof bis zum äußersten Ende der Stadt auf der Kapelle sich durch einen Spaziergang ergehen und erholen kann, für alles ist gesorgt. Außerdem hat man die Gelegenheit in einigen Minuten – Dank der Aufopferung und Thätigkeit des Verschönerungsvereins, nach allen Seiten zur Stadt hinaus die schönsten Aussicht zu genießen und an herrlich angelegten lauschigen Plätzchen sich Erholung und Erfrischung zu verschaffen. Zu weiteren Ausflügen bietet die beste Bahnverbindungen nach auswärts, um die zunächst liegenden schönen Aussichtspunkte, Städte und Dörfer zu besuchen.
Wollen wir den Wald mit seinen Naturschönheiten sehen und genießen, Bachforellen und Ozon Schlucken, so bietet Eisfeld-Unterneubrunn in 3/4 Stunden erreichbar, soviel Herrliches und Naturschönes, das keine Großstadt mit all ihren künstlichen Anlagen, welche Millionen kosten Ersatz oder nur annähernd ähnliches bieten kann.
Auf den Bergen wohnt die Freiheit! Hier ist die liebe Gotteswelt doppelt schön! All dieses Schöne und herrliche ist bequem und was die Hauptsache ist, billig zu haben. Auch für den Winter ist gesorgt, damit es den Bewohnern Hildburghausens nicht langweilig wird. Der Magistrat hat mit seiner Fürsprache bei Sr. Hoheit dem Herzog Georg erreicht das seither Herzgliche Theater unendgeltlich als Eigentum der Stadt übergeben wurde. Dasselbe wird jetzt schon durch Höchste Unterstützung und Zuschuss aus städtischen Mitteln neu hergerichtet und soll noch dieses Jahr zur allgemeinen Freude des Publikums wieder eröffnet werden (Artikel gekürzt).“
Das Hoch auf den Herzog, den Stadtrat und den Bürgermeister lasse ich weg, sonst macht man mich noch zum Monarchisten. Aber können wir nicht auch damit mithalten? Haben wir nicht auch 2019 etwas vorzuweisen? Sogar noch mehr als 1890 – Schulen ohne Schulgeld, ja nun auch neue Straßen, einen Schlosspark (gut hier müsste sich noch einiges tun), herrliche Wanderwege (die kaum genutzt werden), aber toll ausgeschildert sind und mit Schutzhütten versehen. Ein Wildgehege, welche Stadt hat dies schon aufzuweisen. Dazu ein Hallen- und Freibad sowie ein futuristisch-altes Stadttheater mit guten Spielplan. Freilich könnte hier und da noch etwas mehr gemacht werden, aber in welcher Stadt ist alles in Ordnung? Wichtig wäre die Ansiedlung von Gewerbe in der Stadt, aber ein Anfang ist gemacht – ein Hunde-Salon.
Statt die Schwierigkeiten im Stadtrat in die Zeitung zu bringen, sollten sich die Stadträte wie vernünftige Menschen zusammensetzen und gemeinsam um einen Kompromiss ringen.
Karl-Heinz Roß
Hildburghausen
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Antwort von Alfred Emmert
sr. Lieber Karl-Heinz Roß, sicherlich hast du in den vielen Jahren, die wir uns bereits kennen erfahren, welche Achtung und welchen Respekt ich dir entgegenbringe. Ich kann jedoch nicht akzeptieren, was du am Anfang deines Artikels schreibst. Dem Mittelteil deines Leserbriefes stimme ich voll und ganz zu, in dem Hildburghausen außerordentlich positiv dargestellt wird.
Es sind aber 129 Jahre ins Land gezogen und in dieser Zeit hat sich ein Wandel vollzogen, den man objektiv betrachtet zur Kenntnis nehmen muss. Nicht die Menschen, die über Fehlverhalten und Missstände sprechen, berichten und diese verbreiten sind für die schlechten Nachrichten über Hildburghausen verantwortlich, sondern die „Größen“, die dafür die Verantwortung tragen. Und ob es gefällt oder nicht, eine Vogel Strauß-Politik und den Kopf in den Sand stecken ist das Schlimmste, was man der Stadt und ihren Bürger noch antun kann.
Wegsehen, abtauchen und vertuschen hilft niemandem.
Ich hoffe und wünsche mir auch, dass eine Rückkehr zu einer Berichterstattung, wie man sie im Hildburghäuser Kreisblatt 1890 lesen konnte, irgendwann wieder einmal möglich sein wird. Unter den momentanen Gegebenheiten ist dies jedoch nur eine Illusion.
Friedrich Wilhelm Nietzsche, einer der größten Philosophen Deutschlands, der von 1844-1900 lebte, also genau zum Zeitpunkt, als der Artikel erschien, sagte Folgendes: „In allen Instituten, in welche nicht die scharfe Luft der öffentlichen Kritik hineinweht, wächst eine unschuldige Korruption auf wie ein Pilz.“
Ihr Alfred Emmert
Südthüringer Rundschau
Foto: Privat