Der älteste Saurier Deutschlands
Schleusingen. Die Bundesautobahn A4 hat von 1998 bis 2003 nördlich von Chemnitz eine neue Autobahn-Ausfahrt bei Glösa bekommen. Das hat nicht nur die sächsischen Autofahrer, sondern auch die Geologen der TU Bergakademie Freiberg und des Museums für Naturkunde Chemnitz gefreut. Bei einer gemeinsamen Ausgrabung im Jahre 2001 wurden neben Überresten von Pflanzen, Skorpionen und Haien auch sogenannte Koprolithen („Kotsteine“) gefunden. Einen solchen vermeintlichen Koprolith fand der Geologe Uwe Hofmann. Die wahre Natur dieses Fundes erkannte Professor Dr. Jörg W. Schneider erst Jahre später beim Durchsehen des in der Freiberger Bergakademie aufbewahrten Grabungsmaterials. Es waren Schädelknochen eines Sauriers!
Saurier gibt es viele in Deutschland. Was ist das Besondere gerade an diesen Saurier-Knochen? Das ist vor allem ihre Fundschicht im Unter-Karbon: die etwa 330 Millionen Jahre alte Ortelsdorf-Formation der Visé-Zeit. Saurierreste aus dem Unter-Karbon sind weltweit sehr selten und aus Deutschland bisher noch gar nicht bekannt.
Das wertvolle Fossil gelangte an das Naturhistorische Museum Schleusingen in Südthüringen zur präparativen und wissenschaftlichen Bearbeitung. Die Knochen sind als Abdruck in einem feinen Sandstein erhalten. Sie wurden mit Silikonkautschuk abgeformt, um quasi wieder ein „Positiv“ der Knochenoberflächen herzustellen. Die Abformung wurde anatomisch gezeichnet. Dieses Zeichnen ist nicht nur eine visuelle Wiedergabe, sondern eine genaue Beobachtung vorausgehende Interpretation des Fundes.
Danach handelt es sich bei dem Saurierfund von Chemnitz-Glösa um drei Schädeldach-Knochen: ein lang-rechteckiges Supratemporale (st) mit einer schmalen Längsfurche, in der ein Seitenlinien-Organ verlief, dann das bogig geschwungene Squamosum (sq), das an einer Knochennaht mit dem Supratemporale verwachsen ist und schließlich das kleine Tabulare (t), das isoliert auf dem Supratemporale liegt. Diese drei Knochen gibt es bei uns Menschen so heute nicht mehr. Zwischen Supratemporale und Squamosum ist ein tiefer „Ohr-Schlitz“ ausgebildet. Der Schädel hatte eine Länge von 13 cm, das ganze Tier war etwa 70 bis 80 cm lang. Der neue Saurier von Chemnitz-Glösa war ein See-Bewohner, worauf die tiefe und relativ breite Sinneslinien-Furche hinweist.
Nach der radial orientierten Skulptur und Gestalt der Schädeldach-Knochen gehören diese zu einem temnospondylen Amphib. Dieser Temnospondyle ist der älteste bekannte Saurier-Nachweis in Deutschland und gemeinsam mit Balanerpeton aus dem Visé von Schottland der geologisch älteste temnospondyle Saurier überhaupt.
Diese Forschungsergebnisse sind gerade veröffentlicht im aktuellen Heft der Paläontologischen Zeitschrift beim Springer-Verlag: Werneburg, R., Witzmann, F. & Schneider, J.W. (2019): The oldest known tetrapod (Temnospondyli) from Germany (Early Carboniferous, Viséan).
Ralf Werneburg
Naturhistorisches Museum Schloss Bertholdsburg
Foto: R. Werneburg