Afghanistan – viele Tote für nichts
Berlin/Kabul. Als die rot-grüne Regierung unter Gerhard Schröder und Joschka Fischer 2001 entschied, mit den USA zusammen in Afghanistan Krieg gegen die Taliban und Al-Kaida zu führen, wusste die Öffentlichkeit noch nicht, dass es ein wirklicher Krieg sein wird. Es wurde als „Auslandseinsatz“ der Bundeswehr oder als „Krieg gegen den Terrorismus“ beschönigt. Wir konnten uns nicht vorstellen, dass dieser Krieg zwanzig Jahre dauern und mit zahllosen Toten, Verstümmelten, gefallenen Bundeswehrsoldaten und einer beschämenden Niederlage für den Westen enden würde. Die damalige Bundesregierung unter Gerhard Schröder und die darauffolgenden Bundesregierungen unter Angela Merkel hatten es in der Hand den Krieg geordnet zu beenden und hätten wissen müssen, wie er ohne Planung und Konzept enden kann.
Als wir in diesen Tagen die dramatischen Bilder vom Flughafen Kabul sahen, wo Afghanen aus Angst um ihr Leben noch versuchten, in eines der letzten Flugzeuge, die Kabul verließen, zu gelangen, erinnerte es mich an die dramatischen Szenen 1975 als die USA mit Hubschraubern aus dem damaligen Saigon flohen. Der Westen hat nicht nur einen Krieg verloren, er hat viele Menschen in Afghanistan verraten, die an Freiheit, Menschenrechte und Demokratie glaubten und die die alliierten Truppen in Afghanistan unterstützten und die jetzt hoffen müssen, dass die Taliban ihnen Pardon gewähren.
Der Kriegsgrund der USA und Deutschlands bestand 2001 darin zu verhindern, dass die mit den Taliban verbündete Al-Kaida-Organisation weltweit Staaten destabilisieren und Terroranschläge verüben kann. Dieses Kriegsziel hatte der Westen in den letzten beiden Jahrzehnten aus dem Blick verloren. Jetzt, wenige Wochen vor dem 11. September, an dem sich die Terroranschläge von New York und Washington zum 20. Mal jähren, hat der internationale islamistische Terrorismus mit einem Taliban-Afghanistan eine gesicherte Heimat und der Westen ist schwächer und unfähiger zu militärischem Handeln denn je.
Ein Taliban-Afghanistan ist wie 2001 nicht nur ein religiös-ideologisch begründetes Terrorregime, das die Bürger rücksichtslos tötet, quält und unterdrückt, wenn sie ihren Befehlen nicht folgen. Es wird nach dem Sieg über den Westen auch eine Bedrohung für andere islamische Staaten und den Westen sein. Im Unterschied zu 2001 wird es im Westen niemanden geben, der die Kraft hat, erneut einen Feldzug zu unternehmen. Aus diesem Grund bereitet mir diese Entwicklung besonders große Sorgen, da ich ein Wiedererstarken des islamistischen Terrors befürchte. Wenn der frühere Bundesverteidigungsminister Struck sagte, dass unsere Freiheit am Hindukusch verteidigt wird, dann sind wir damit vollkommen gescheitert.
Es war alles absehbar. Niemand soll sagen, dass der Sieg der Taliban überraschend kam. Wir hatten gesehen, wie das Quisling-Regime in Saigon 1975 kollabierte und wie der „Islamische Staat“ innerhalb von Wochen die irakische Armee bei den Kämpfen um Mossul geschlagen hatte. Es war klar, dass westliche Ausbildungshilfe und Ausstattungshilfe bei der afghanischen Armee und Polizei nicht die Korruption und Demoralisierung der Truppe kompensieren können. Warum sollte sich ein Soldat oder Polizist für den bescheidenen Sold und ein korruptes Regime foltern und enthaupten lassen? Diese Frage hatten sich auch die Soldaten in Mossul gestellt als die Islamisten die Stadt einnahmen. Es ist verständlich, dass viele die Fronten wechselten oder ihre Uniform gegen zivile Kleidung tauschten, zumal manche mit den Taliban sympathisierten und mit dem Kunstgebilde Afghanistan wenig anfangen können. Aber das alles war dem Westen bekannt. Die Ankündigung des Abzugs der westlichen Truppen war zugleich die Ankündigung, Afghanistan den Taliban zu überlassen.
Es war verständlich, dass die USA und die Verbündeten 2001 nach den furchtbaren Terroranschlägen gegen Al-Kaida in Afghanistan militärisch vorgingen. Nicht verständlich ist, dass daraus ein 20jähriger Krieg wurde, bei dem der Westen zuletzt nicht mehr wusste, warum er überhaupt in diesem Land ist. Der Westen hatte keine realistische Afghanistanstrategie, handelte planlos und zuletzt desinteressiert und hatte keine Vorstellung, wie er den Afghanistankrieg beenden sollte. Die deutschen Gefallenen, zivile Tote und Verstümmelte, die Milliarden Euro, die uns der Krieg gekostet hat und die Folgen, die der Krieg für viele unserer Freunde und Unterstützer in Afghanistan noch haben wird, sind Folgen einer desaströsen Afghanistanpolitik, für die 16 Jahre lang die Regierungen Merkel die Verantwortung tragen.
Dr. Hans-Georg Maaßen
Präsident des Bundesverfassungsschutzes a. D.
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