Am Bauernfeuer
„Auch das deutsche Volk hat seine revolutionäre Tradition. Es gab eine Zeit, wo Deutschland Charaktere hervorbrachte, die sich den besten Leuten der Revolutionen anderer Länder an die Seite stellen konnten, wo das deutsche Volk Ausdauer und Energie entwickelte (…) wo deutsche Bauern und Plebejer mit Ideen und Plänen schwanger gingen, vor denen ihre Nachkommen oft genug zurückschaudern.“
So beginnt das Büchlein: „Der Deutsche Bauernkrieg“. Geschrieben hat es Friedrich Engels. Mir fiel dieser schöne Text wieder ein, als ich am vorigen Samstag am Mahnfeuer der Bauern stand, im Lichte der Traktoren, auf dem Panoramaberg über dem Ratscher.
Der Große Deutsche Bauernkrieg erreichte seinen Höhepunkt im Jahre 1525 – und zwar in Thüringen. In unserer Gegend setzten aufständische Bauernhaufen den „Roten Hahn“ auf das Dach von Schloss Bedheim, was bedeutet: sie brannten es nieder. Bauern erstürmten die Festung auf dem Straufhain, die Henneburg und vermutlich das eine oder andere Kloster, jedenfalls: es wäre sehr nett, wollten die Bauern Schloss Weitersroda auch beim nächsten Mal wieder verschonen.
Das ist aber nicht der Grund, warum ich beim Mahnfeuer der Bauern gewesen bin.
Es ist nämlich eine sehr eigenartige Zeit, in der „Du Bauer“ oder „Du Prolet“ Schimpfworte sind. Gibt es denn gar keine Gründe mehr, Bauern und Arbeiter mit Respekt zu behandeln?
Achso, ja, richtig: das Essen gibt es im Supermarkt und unser Wohlstand fällt täglich vom Himmel. Wozu braucht es da Bauern und Arbeiter?
Wahrlich: man staunt, wie blind wir heute oftmals für die simpelsten Zusammenhänge sind – und wie wenig wir voneinander wissen. Wir reden seit 2015 „über“ die Flüchtlinge. Wer redet „mit“ Flüchtlingen? „Der Westen“ diskutiert pausenlos über „den Osten“. Aber er weiß sehr wenig darüber.
Deswegen war ich am Bauernfeuer: um zuzuhören. Denn die Unkenntnis voneinander ist ein großes Übel. Sie ermöglicht den Herrschenden, Konfliktlinien zu installieren, die kein Mensch braucht. Was wir brauchen ist Solidarität. Dafür muss man sich kennenlernen.
Eine total falsche Konfliktlinie ist meines Erachtens die zwischen Bauern und Umweltbewegung. Sind sie nicht viel eher natürliche Verbündete? Liegt es nicht auf der Hand, dass gerade die Bauern eine intakte Umwelt existenziell benötigen? Bräuchte die Umweltbewegung nicht die Bauern als Hauptverbündete?
Kommt man in ein Gespräch auf Augenhöhe, wird schnell klar, dass die Gemeinsamkeiten überwiegen und man eigentlich in die selbe Richtung will. So auch auf dem Panoromaberg. Als Vegetarier war ich vermutlich ein Einzelfall in dieser Runde. Nicht aber als jemand, der sich um den Zustand der Natur wegen extremer Wetterphänomene sorgt. Auch was die Verlogenheiten der „offiziellen“ Umweltdebatte angeht, waren wir uns schnell einig. Zu DDR-Zeiten gab es 2,1 Millionen Kühe, heute sind es noch 600.000. Der Fleischkonsum ist aber gestiegen. Wie wird diese Differenz gedeckt? Richtig. Mit Fleischimporten aus Argentinien, aus Brasilien usw.
Wenn dieselben Politiker, die mit diesen Ländern gerade ein neues „Freihandelsabkommen“ unter dem Motto „Kühe gegen Autos“ aushandeln, gleichzeitig die hiesigen Bauern zum Umweltfeind Nummer 1 und die Autofahrer zu Umweltfeind Nummer 2 erklären, dann stimmt doch etwas nicht.
Ich will nun nicht die große Konsenssoße auskippen über Debatten, die geführt werden müssen. Die unfassbaren Mengen Gülle, die die Massentierhaltung produziert, sind ein Problem für Böden und Grundwasser. Wir brauchen auch radikal andere Verkehrskonzepte.
Aber hören wir uns gegenseitig zu – und hören wir endlich auf, Schwarzer Peter zu spielen. In der Tat, in der Landwirtschaft wird sich vieles ändern müssen – aber in der Industrie und in den Großstädten bitteschön auch.
Lösen wir die unbestreitbar vorhandenen Probleme – gemeinschaftlich, solidarisch.
Übrigens: ein nächtlicher Konvoi Hunderter Traktoren, massenhafte Solidarität der Bevölkerung auf dem Weg, ein flächendeckender Verkehrskollaps in der deutschen Hauptstadt (- die allerdings ohnehin zu Verkehrskollapsen neigt): das sind Erlebnisse, die bleiben.
Auch die Mahnfeuer am letzten Samstag waren eine bundesweite Aktion. Das ist gut. Denn es muss weitergehen, nicht nur bei den Bauern. Die Verhältnisse, die in Jahrzehnten des globalisierten Turbokapitalismus eingerissen sind, werden nicht mit einer einzigen Demo aus den Angeln gehoben.
Man muss von vornherein auf Jahre anlegen – eventuell auf Jahrzehnte.
Friedrich Engels: „Drei Jahrhunderte sind seitdem verflossen, und manches hat sich geändert; und doch steht der Bauernkrieg unsern heutigen Kämpfen so überaus fern nicht – und die zu bekämpfenden Gegner sind großenteils noch dieselben.“
Prinz Chaos II.
Weitersroda
Fotos: Privat