„Brandbrief“ der Bürgerinitiative „Gegenwind im Kleinen Thüringer Wald“
Schleusingen. Folgender Brandbrief wurde von der Bürgerinitiative „Gegenwind im kleinen Thüringer Wald“ formuliert und am Montag, dem 27. Januar 2020 an die Thüringer Landtagsfraktionen, den Umweltausschuss im Thüringer Landtag, an Landrat Thomas Müller sowie an die Kreistagsfraktionen verschickt:
Nehmen Sie Ihre Verantwortung wahr! Stoppen Sie das Ungleichgewicht zwischen technisch-profitorientiertem Fortschritt und Schutz von Mensch und Umwelt!
Sehr geehrte Damen und Herren, aufgrund der aktuellen Entwicklungen zum Neubau mehrerer überdimensionierter Windkraftanlagen (5,6 MW-Anlagen) auf dem Waldauer Berg bei Schleusingen, ersuchen wir Sie, Ihrer Verantwortung als gewählte Bürgervertreter nachzukommen.
Die Energiewende auf Kosten von Mensch und Umwelt umsetzen zu wollen, ist ein untragbarer Zustand. Insbesondere der ländliche Raum, zu dem auch unsere Region zählt, wird durch die Forcierung des Windkraftausbaus in unmittelbarer Nähe zu Wald und Wohngebieten stark in Mitleidenschaft gezogen. Er wird seiner Lebensqualität sowie Zukunftsperspektiven beraubt.
Wir, die Unterzeichner dieses Briefes, setzen uns intensiv für den Erhalt unserer Umwelt sowie den schonenden Umgang mit den vorhandenen Ressourcen ein. Der Erhalt einer intakten, lebenswerten Umwelt hat bei uns absolute Priorität. Sie ist die Basis einer gesunden und leistungsfähigen Gesellschaft. Das bereits genannte WKA-Projekt „Waldauer Berg“ bei Schleusingen ist unserer Meinung nach aus folgenden Gründen nicht tragbar:
1. Maximierung der technischen Auslegung bei gleichzeitiger Beibehaltung der Schutzmaßnahmen
Das Windvorranggebiet W14 „Waldauer Berg“ fand bereits im Jahr 2007 Eingang in den Regionalen Entwicklungsplan Südwest-Thüringen. Die betroffene Gemeinde Nahetal-Waldau hat bereits zu diesem Zeitpunkt unter Berücksichtigung der drohenden Beeinträchtigung für Mensch und Natur diesem Windvorranggebiet sowie der Errichtung von WKA ausdrücklich widersprochen. Dieser Widerspruch fand allerdings in der damaligen Regionalplanung leider keine Berücksichtigung. Die damals zugrunde liegenden technischen Auslegungen der WKA entsprechen in keiner Weise dem heutigen Planungsgegenstand. Die in 2007 geplanten Anlagen hatten eine Gesamthöhe von ca. 150 Metern. Die heutigen WKA sind mit 247 Metern etwa 100 Meter höher als ursprünglich kommuniziert.
Die Anlagen wurden von der Betreiberfirma (Jade NaturEnergie GmbH & Co. KG, Bamberg) nun höher konzipiert, da die mangelnde Windhöffigkeit in der ursprünglichen Auslegung einen wirtschaftlichen Betrieb nicht möglich macht. Eine Anpassung der Schutz- und Abstandszonen wurde allerdings nicht vorgenommen! Nach aktuellen Planungsempfehlungen sind bei derartig ausgelegten Anlagen, Abstände von mindestens 1.000 Metern zu Grunde zu legen. Sowohl diese als auch die Minimal-Abstandsregel von 750 Metern werden nicht durchgängig erreicht. Somit würde bei Genehmigung des Projekts ohne Anpassung der Schutzkorridore die Beeinträchtigung von Mensch und Natur billigend für die Gewinnmaximierung der Betreiber in Kauf genommen. Dies ist untragbar!
2. Gesundheitliche Beeinträchtigung der Bevölkerung
Um mögliche Beeinträchtigungen der Menschen auszuschließen bzw. so gering wie möglich zu halten, gibt es das Emissionsschutzgesetz. Die Bestimmungen dieses Schutzgesetzes werden in grober Weise verletzt. Durch die ungenügenden Abstände (teilweise unter 750m) zu Wohngebieten wird die Bevölkerung sowohl durch die Geräusche der Rotorbewegungen, die Schlagschatten, den Schattenwurf der Masten sowie durch den über 10 km reichenden Infraschall stark beeinträchtigt.
Die aus Kostengründen eingesparte Befeuerungsabschaltung bringt durch den so genannten Disko-Effekt eine zusätzliche gesundheitliche Belastung der Anwohner mit sich. Die bedarfsgerechte Nachtkennzeichnung der WKA (beispielsweise durch Passivradar) sind jedoch bereits Stand der Technik. Teilweise schwere Erkrankungen, welche von Gleichgewichtsstörungen, Schlafstörungen, Schwächung der Herzmuskelzellen bis hin zu depressiven Angststörungen reichen, sind die Folge.
Da die Auswirkungen der Emissionen auf den Menschen komplex sind und weiterer Untersuchungen bedürfen, wird dieser Aspekt häufig fehlinterpretiert und aus Unwissenheit unterschätzt. Insbesondere die Nähe zu einer in Sichtweite befindlichen Kindertagesstätte und Grundschule ist mehr als bedenklich. Hier würden schon die jüngsten und schutzbedürftigsten Mitglieder unserer Gesellschaft wissentlich diesen Emissionen ausgesetzt. Das ist nicht verantwortbar!
3. Schlechterstellung der Land-Bevölkerung
Der ländliche Raum kämpft heute in vielerlei Hinsicht unter erschwerten Bedingungen insbesondere durch Abwanderung und den Folgen der demografischen Entwicklung. Umso mehr setzen wir uns dafür ein, dass der Faktor „Lebensqualität durch Naturnähe und Naherholungsgebiete vor der Haustür“ (dazu zählt auch der „Waldauer Berg“) als „Klebefaktor“ für jüngere Generationen in unserer Region wirkt.
Familien, die ihren Lebensmittelpunkt hier gefunden haben, würden genau dieser positiven Aspekte beraubt. Ihr geschaffenes Wohneigentum würde durch die Unveräußerbarkeit massiv entwertet. Man brächte diese Menschen um einen weiteren Baustein ihrer Altersvorsorge. Zudem würden weitere Neuansiedlungen und Investitionen in Wohneigentum ausbleiben, da sowohl die Lebensqualität als auch die Wertstabilität ihrer Wohngebäude gefährdet wären.
Eine Genehmigung des Projekts in unmittelbarer Nähe zu Wohngebieten, befördert die aktive Schwächung des ländlichen Raumes. Dies widerspräche dem parteiübergreifenden Konsens, dass der ländliche Raum hinsichtlich der Lebensqualität nicht abgehängt werden darf!
4. Beeinträchtigung der Natur
Das genannte Windvorranggebiet liegt in unmittelbarer Nähe zum UNESCO Biosphärenreservat Thüringer Wald sowie dem Naturpark Thüringer Wald. Eine Genehmigung des Projektes brächte eine massive Beeinträchtigung der Flora und Fauna mit sich. Der Waldauer Berg ist Brutplatz, Lebens- und Durchzugsraum verschiedener schützenswerter Arten. Schwarzstorch, Uhu, Feldlerche, Birkhühner, Falken, Fledermäuse und Milane sind hier beheimatet. Regelmäßig rasten verschiedene Zugvogelarten auf diesem Areal.
Staatlich geförderte Wiederansiedlungsprojekte würden durch den Bau der WKA ad absurdum geführt und Lebensräume aktiv zerstört. Durch die Gründung und Errichtung der WKA käme es durch die Bodenverdichtung zu einem unverhältnismäßigen Eingriff in die Natur. Die negativen Auswirkungen auf unter- und oberirdische Gewässerläufe sind nicht kalkulierbar. All dies widerspräche dem Nachhaltigkeitsgedanken, dem wir uns alle verpflichtet fühlen!
5. Wirtschaftliche Beeinträchtigung der Region
Der Thüringer Wald ist eine Tourismus-Region, die gerade in den letzten Jahren eine Wiederbelebung erfährt. Touristen genießen das Natur-Erleben in unseren Wäldern, dem UNESCO Biosphärenreservat und den angrenzenden kleinen Gemeinden. Die WKA zerstören nicht nur Natur, sondern auch das Landschaftsbild einer Tourismusregion.
Die Anlagen sollen auf einem Berg etwa 100 Höhenmeter oberhalb der Ortskerne Hinternah und Waldau platziert werden. Mit einer Höhe von 247 Metern ragen die dann dort befindlichen monströsen Anlagen (eigentlichen Offshore-Anlagen) weithin sichtbar und hörbar in die Landschaft. Der ausgewiesene Minimalabstand von 750 Metern zur Wohnbebauung beider Orte steht somit in keinerlei Verhältnis zur sich ergebenden Sichthöhe der Anlage von knapp 350 Metern.
Erholung neben derartigen WKA ist nicht möglich und würde alle Bemühungen um attraktive touristische Angebote untergraben. Unsere Gastwirte und Hoteliers würden einer zusätzlichen Hürde in ihrem Wirken gegenüberstehen. Zerstört man den Tourismus durch die aktive „Verspargelung“ der Landschaft, zerstört man einen Teil der Wirtschaftskraft unserer Region „Tourismusförderung ist aktive Wirtschaftsförderung!“ Dies darf kein inhaltsleeres Wahlversprechen sein.
Die Menschen der Stadt Schleusingen wollen weder Windräder im Wald noch neben Wohngebieten. Daher werden unsere Aktivisten zivilrechtlichen Widerstand gegen solche Projekte leisten. Wir werden uns lautstark und medienwirksam gegen dieses Projekt stellen. Wir verurteilen die einseitige Gewinnmaximierung auf Kosten unserer Gesundheit, Lebensqualität und letztlich auch unserer Zukunft und werden ihr mit einer Petition begegnen.
Wir fordern nachdrücklich, die Energiewende nicht länger auf dem Rücken von Mensch und Natur auszutragen! Die Versäumnisse hinsichtlich der höhenbezogenen Abstandsflächenregelung müssen politisch angepackt und überarbeitet werden.
Werden Sie Ihrer Verantwortung gerecht, lassen Sie Ihren Wahlkampf-Versprechen echte Taten folgen und sorgen Sie mit uns dafür, dass auch das Leben im ländlichen Raum lebenswert bleibt. Es ist fünf vor zwölf!
Mit freundlichen Grüßen aus dem Thüringer Süden
Bürgerinitiative „Gegenwind im kleinen Thüringer Wald“
Foto: Privat