Das Wort zum Montag
Ich war jetzt zweimal bei dieser Montagsdemonstration in Hildburghausen. Das ist eine gute Initiative und man spürt, wie wichtig es für viele Menschen ist, dass ihnen zugehört wird. Aber man merkt halt auch gleich, wo die Sache ins Leere zu laufen droht. Es ist die übliche Problematik, speziell in Deutschland.
Und zwar werden hauptsächlich „Empörungen aufeinander gestapelt“, wie der Internet-Superstar Professor Rainer Mausfeld so schön sagt. Jeder hat da so sein Aufregerthema. Die meisten dieser Themen sind auch berechtigt. Dazu kommt allerhand, was dieser oder jene in den unendlichen Weiten des Internets aufgeschnappt hat. So kommt das Ganze über die Funktion eines öffentlichen Kummerkastens selten hinaus.
Das ist, wie gesagt, kein Problem, das diese Montagskundgebungen alleine kennzeichnet. Es ist ein Zug unserer Zeit. Alle sind empört. Alle regen sich auf. Alle sind dagegen. Alle wettern gegen irgendwen. Alle finden, dass es so nicht weitergehen kann. Nur dummerweise: es geht so weiter. Nur schlimmer.
Ich muss auch gestehen, dass mir auch die Maßlosigkeit der allgemeinen Klaghaftigkeit stellenweise etwas fragwürdig ist. Ja, das politische System ist korrupt und morsch. Ja, die Superreichen nehmen uns aus wie die Weihnachtsgänse. Und wie man weiß, bin ich der festen Überzeugung, dass wir eine fundamentale, gesellschaftliche Umwälzung von unten, aus der Tiefe und Breite der Gesellschaft heraus brauchen, um wieder auf einen grünen Zweig zu kommen.
Aber irgendwo sollten wir auch noch ein Bewusstsein dafür haben, wo wir stehen in der Welt. Ich zum Beispiel blicke auf eine Kindheit zurück, die ich ohne Hunger, aber mit sauberem Trinkwasser verbracht habe. Wenn ich krank bin, gehe ich zu einem Arzt. Ich habe keinen Krieg erleben müssen, obwohl sich mein Land an sehr vielen Kriegen direkt oder indirekt beteiligt hat. Ich wurde nie Opfer von extremer Gewalt, auch wenn ich einen Haufen Mist erlebt habe. Und obwohl ich in meinen Texten regelmäßig die herrschenden Verhältnisse kritisiere, wurde ich bisher nicht eingesperrt dafür.
Auf wie viele der derzeit 7,6 Milliarden Menschen auf dem Planeten trifft all das zu?
Mir geht es nicht darum, dass wir uns nicht wehren dürfen, weil es uns so großartig geht. Es geht uns nicht großartig. Das System macht uns krank. Aber was ist denn das für ein System? Es ist auf Konkurrenz und Egoismus aufgebaut und hat den Kampf „Jeder gegen Jeden“ zum Grundprinzip erhoben. Deswegen ist es so schreiend ungerecht, deswegen stinkt es aus jeder Pore nach Korruption und deswegen macht es uns auch krank. Und die Krankheit heißt: Lähmung, Passivität, Nörgelei statt Taten.
Der Ansatz dagegen kann nicht lauten: „Piep, piep, piep: wir ham uns alle lieb!“ Denn das Verbrechen hat, wie Bertolt Brecht sagte, Name und Anschrift. Wer sich an den Kriegen und dem Elend der Welt bereichert, wer unsere Steuergelder veruntreut und diesen Staat zu seinem Selbstbedienungsladen macht, wer die Natur schändet für seinen Profit: der oder die muss zur Verantwortung gezogen werden.
Aber wenn das klappen soll, und wenn diese Umwälzung, die wir brauchen, zu etwas Gutem führen soll, dann geht es auch nicht ohne Liebe und ohne Verständnis füreinander. Und sagen wir es wiederum mit Bertolt Brecht: „Liebe ist der Wunsch, etwas zu geben, nicht zu erhalten.“ Es geht also darum, etwas zu tun. Und zwar gemeinsam, alle zusammen: Alle für alle, sozusagen.
Wir wissen inzwischen, dass alles fürchterlich ist. Wir brauchen es uns nicht noch tausendmal gegenseitig zu erzählen. Aber wie geht es nach vorne und vor allem: Was tue ich, was tust Du, was tun wir, damit es sich ändert und besser wird? Diese Frage sollte uns alle gemeinsam beschäftigen – und jeden und jede einzeln. Und zwar sehr konkret und praktisch beschäftigen. Nicht nur des Montags, um 19 Uhr vor dem Alten Rathaus der Kreisstadt…
Prinz Chaos II.
Weitersroda
Nachtrag: An der Aktion „Winterlinde“ haben sich auch beteiligt: der wunderbare Dichter Gerhard Gatzer sowie Beate Kittel. Vielen lieben Dank auch Ihnen!
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