Der versteckte Felsen – eine besondere geologische Kostbarkeit
Wer die ersten Beiträge kennt, erinnert sich, dass ich über den unteren Muschelkalk, eines der Hauptgesteine unserer Heimat, berichtet habe. In Sichtweite von unserem letzten Ziel, dem Kapellenberg bei Ehrenberg, erhebt sich über dem Werratal als Teil der Frankenschwelle der Höhnberg (513m) bei Reurieth aus eben diesem Gestein. Die Nordflanke verbirgt eine besondere geologische Kostbarkeit – den Reuriether Felsen, den man aus der Ferne nur bei genauerem Hinsehen als einen schmalen hellen Streifen zwischen den Bäumen erkennen kann.
Um das „Versteck“ zu finden, muss man einige Anstrengungen auf sich nehmen, die auch durch die raren Wegweiser nicht erleichtert werden. Folgt man nämlich diesen, gelangt man unweigerlich auf den Höhnberg und kann den Felsen nur aus der Höhe erahnen. Steigt man, vom Ende der Straße Neufeldlein kommend, die Wege möglichst meidend, relativ geradlinig (sich leicht rechts haltend) nach oben, finden wir uns zwischen moos- und flechtenbewachsenden Steinhalden, die den bizarren Wurzelgeflechten der Buchen kaum Stand bieten, wieder. Dazwischen liegen Totbäume, fast wie von Geisterhand in Süd-Nordrichtung gelegt. Der aufmerksame Betrachter wird die oft metergroßen Gesteinsbrocken als Kalkstein erkennen. Sogar mindestens zwei Schuttterrassen sind auszumachen.
Die Herkunft der Kalke wird bald klar, wenn wir uns über den rutschigen Hang weiter nach oben „kämpfen“. Vor uns erhebt sich eine helle Steilwand von etwa 15 m Höhe und mit einer Breite von mehr als hundert Meter, wenn man so will, der „Eingefallene Berg“ bei Themar in einem kleineren Maßstab. Nur die Natur ist unberührter, wilder und birgt neben dem Totholz noch eine Reihe von Pflanzen, die solchen Steilhängen und Felsabbrüchen nicht mehr überall eigen sind.
Wir stehen vor einem Bergsturz, exakter müsste es heißen, vor einem Felssturz im unteren Muschelkalk. Solche Felsstürze sind in dieser Muschelkalkstufe nicht so selten (Eingefallener Berg, Rohrer Felsen). Die Bedingungen für solche geologische / geomorphologische Phänomene sind ideal. Der Muschelkalk liegt über der sogenannten Rötstufe des oberen Buntsandsteins. Der Kampf des vordringenden Meeres hat rötliche Tone, Sande als terrestrische Ablagerungen und graue, grüne Mergel- und Kalkbänke marinen Ursprungs hinterlassen. Der darüber liegende Wellenkalk wurde durch Kohlensäureverwitterung zerklüftet. In einer Zeit mit kalten Wintern (besonders während des Eiszeitalters) wurden diese Spalten durch Frostverwitterung erweitert und Teile einer Bergflanke an Taleinschnitten verloren allmählich ihren inneren Zusammenhalt.
Das durch die Spalten eindringende Niederschlagswasser trifft auf den Grundwasserstauer der Röttone und verwandelt diesen in eine Art plastische Gleitschicht, auf dem die instabilen Kalke herabrutschen und zerbrechen können. Es entsteht die typische Folge von Abrisswand, Gleitbahn und Trümmerhalden, die am Reuriether Felsen in klassischer Weise erhalten sind. Dem aufmerksamen Leser wird nicht entgangen sein, dass ich in die Zeitform Gegenwart gewechselt bin. Diese Prozesse halten auch heute noch an, wenn auch mit geringerer Geschwindigkeit, weil die ausgeprägten Sprengprozesse der Frostverwitterung schwächer wurden. Östlich und westlich der Abrisswand sind bereits kleinere Abbrüche zu beobachten. Aufschlussreich sind beispielsweise auch Bewegungsvorgänge in der Goetz-Höhle Meiningen. Es ist eine sogenannte Abriss- Klufthöhle, deren Hohlräume teilweise durch Verschiebungen des Muschelkalks auf der Rötgleitfläche entstanden sind. Ohne spekulativ sein zu wollen, könnte, in erdgeschichtlichen Zeiträumen gedacht, dort ein Felssturz nach entsprechenden Warnzeichen zu erwarten sein. In der erdgeschichtlichen Vergangenheit (besonders während des Pleistozäns mit seinen Abfolgen von Warm- und Kaltzeiten) kam es häufig zu kleineren Felsstürzen, die in der Gegenwart als sogenannte Rutschschollen aus Wellenkalk und Rötschichten einige Talböschungen an der Werra bedecken und sich relativ unauffällig in das Relief einfügen. Nur der aufmerksame Beobachter wird weit unterhalb der Schichtstufe aus Wellenkalk abgerutschtes Kalkgeröll entdecken. Solche Rutschmassen finden wir beispielsweise gegenüber der Oberen Mühle in Themar, in Häselrieth am Übergang der B 89 über die Bahnstrecke, an der Finkenmühle östlich von Birkenfeld, bei Harras oder bei Sachsenbrunn. In diesem Zusammenhang sei auch erwähnt, dass durch die Lösungsverwitterung im Muschelkalk ausgedehnte unterirdische Hohlräume entstehen können. Wir finden sie beispielsweise im Raum Sachsenbrunn, am Eingefallenen Berg, bei St. Bernhard, im Schalkauer Land oder in Meiningen. Die spektakulärste Entdeckung der letzten Jahre ist die Bleßberghöhle, deren wunderschönen Stalaktiten und Stalagmiten leider nur in medialen Formen erlebbar sind.
Der Wanderer sollte nicht versäumen, den Wegweisern folgend, über den Kammweg der Frankenschwelle den Höhnberg zu besteigen. Er wird auf die Reste einer ehemaligen Verteidigungsanlage, der Landwehr, stoßen. Diese Wallgräben, die natürlich ursprünglich tiefer waren, wurden im 16. Jahrhundert als Grenzschutz zwischen den Ämtern Eisfeld / Hildburghausen und der Grafschaft Henneberg errichtet.
Von dort sind es nur noch einige Schritte nach Westen und vor uns eröffnet sich ein beeindruckender Blick auf Reurieth und das Werratal um Themar. Wir stehen jetzt am oberen Rand der Abrisswand, die sich in ihrer Größe nur erahnen lässt.
Wilfried Trott
Weitersroda
Titelfoto: W.Trott