Die Demokratie des 21. Jahrhunderts
„Zu Hitler fällt mir nichts ein.“, schrieb der legendäre Wiener Satiriker Karl Kraus, nachdem er auf die Machtergreifung der NSDAP mit einem für ihn untypischen, monatelangen Schweigen reagiert hatte.
Mir fällt zu den Wahlen in Brandenburg und Sachsen sehr vieles ein. Es ist ja auch nicht die Machtergreifung der NSDAP, die dort stattgefunden hat. Aber immerhin zwei weitere Landtagswahlen, die eine weitgehende Zerrüttung des parlamentarischen Systems gezeigt haben.
Ich verstehe die Qualen der Wählerinnen und Wähler. „Wen soll man wählen?“ ist ja eine Frage, die zusammenhängt mit: „Wem kann man glauben?“ Und da schaut es nicht besonders gut aus.
Nehmen wir die LINKE. Die hat in Sachsen wie in Brandenburg katastrophal verloren. Aber sie ist in beiden Ländern auch derartig lahmarschig, überbrav und ungefährlich, dass niemand daran glauben mag, sie würde wirklich grundlegend etwas ändern können oder auch nur wollen.
Gefährlichkeit? Ja. Denn wer es nicht wagt, den Konzernen und den Superreichen gefährlich zu werden, der kann auch keine nennenswerte Veränderung durchsetzen. Wir sind schließlich weit entfernt, eine funktionierende Demokratie zu sein. Wir sind eine Oligarchie, in der das Wahlvolk alle Jubeljahre an die Urnen beordert wird. Das klingt nach Feuerbestattung. Fühlt sich auch so an.
Übrigens ist es auch nicht dasselbe, ob man an der Regierung ist oder an der Macht. An der Regierung sind viele, mal diese, mal jene Parteienkombination. An der Macht sind ganz andere, das sind die Bertelsmänner, die großen Player der Finanzwirtschaft, die Konzerneigner und einige ewig superreiche Familien wie die Quandts. Wer unter ihnen regiert, mag wechseln. Diese Macht bleibt.
Und jetzt bleiben wir doch bitte mal ganz sachlich: glaubt irgendwer, ausgerechnet die AfD würde diese Macht der Bonzen, Banken und Konzerne infrage stellen? Diese Partei, deren Alice Weidel direkt von Goldman Sachs in die Politik wechselte? Die Partei, die jetzt schon von Korruptionsskandalen in Serie erschüttert wird?
Die Programmatik der AfD ist knallhart neoliberal. Diese Partei wird nichts tun für „das Volk“, auch wenn sie es ständig im Munde führt und auf Plakate druckt. Diese Partei wird das Volk haargenau so verraten, wie alle anderen Parteien es auch verraten haben, sobald sie an der Regierung waren. Nur mit dem Zusatz, dass die AfD auf dem Weg zu diesem Verrat kübelweise Gift und Hass in die Herzen des Volkes kippen wird: jeder gegen jeden, diese Gruppe gegen jene Gruppe, arm gegen arm.
Wie wäre es dagegen mit der guten alten Parole der guten alten Arbeiterbewegung, die in etwa lautete: „Alle hier unten zusammen gegen die Arschlöcher da oben!“
Nein, ich bin nicht erfreut über diesen Wahlausgang, aber ich muss auch ehrlich sagen, dass ich nicht sonderlich erschüttert bin dadurch. Denn dieses parlamentarische System, dieses Spiel von Wahlen alle vier oder fünf Jahre und dazwischen „Volksvertreterei“ ohne jegliche Kontrolle durch den Volkssouverän – dieser Parlamentarismus ist morsch und faul und verkommen. Das Hauptziel der Mandatsträger ist, von wenigen Ausnahmen abgesehen: die Verteidigung ihres Mandats – und die persönliche Bereicherung.
Nehmen wir Mark Hauptmann, unser aller Bundestagsabgeordneter, CDU. Seit 2017 hat der gute Mann (mindestens!) 233.000 Euro an Nebeneinkünften erzielt, zusätzlich zu seinem Abgeordnetengehalt. Einen Konflikt zwischen seinem Mandat und seinen sonstigen Geschäften kann der Herr Hauptmann aber nicht erkennen. Na, dann ist ja alles gut. Gratulation, Herr Hauptmann.
Was wir zusammenfassend brauchen, ist tatsächlich eine Wende 2.0, denn wir kommen mit diesem kaputten System nicht mehr weiter. Am Ende ist aber auch die AfD nichts weiter als eine weitere Systempartei.
Keine „Partei“ jedoch wird uns retten. Sondern Millionen Menschen, die sich solidarisieren, die sich nicht mehr gegeneinander aufhetzen lassen, sondern ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen und: die Demokratie des 21. Jahrhunderts gemeinsam erfinden und von unten durchsetzen.
Das klingt utopisch? Iss´es auch.
Aber es ist der einzige Weg aus dem Schlamassel.
Prinz Chaos II.
Weitersroda
Foto: Pixabay
Das Roman-Debüt von Prinz Chaos II.
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Dirk C. Fleck (ausgezeichnet mit dem Deutschen Science-Fiction-Preis 1994 und 2008)
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