Ein Wort zum Verständnis von „Freiheit“ und „Demokratie“ in diesem Land
Leserbrief. Die Wahl zum Ministerpräsidenten in Thüringen und die sich anschließenden Diskussionen machen eines deutlich: von tatsächlicher Freiheit in unserem einheitlichen Deutschland sind wir offensichtlich weit entfernt. Wo bleiben die von Kohl und unserem Freiheitsapostel Gauck so marktschreierisch verkündeten Parolen von Freiheit und Demokratie?
Der von der CDU-Spitze verordnete Maulkorb für ihre Abgeordneten und Wähler, der im Unvereinbarkeitsbeschluss seinen Ausdruck findet, macht deutlich, wie weit wir von Freiheit und Demokratie entfernt sind.
Das zeigt auch eines der jüngsten Beispiele, nämlich die Wahl eines Übergangs-Ministerpräsidenten für Thüringen.
Während Herr Ramelow, der bei den Wahlen die meisten Stimmen auf sich vereinen konnte, nun im Interesse der Zukunft Thüringens den Wahlverlierern von CDU (in Person von Frau Lieberknecht) den Vorschlag unterbreitet, übergangsweise den Ministerpräsidenten zu stellen, lehnt ausgerechnet der große Wahlverlierer, Herr Mohring, diese demokratische Geste der Partei DIE LINKE ab. Parteipolitische Interessen stehen für diese Leute von CDU und FDP ganz offensichtlich vor den Interessen des Landes Thüringen und seiner Wähler.
Der nächste Versuch von SPD, Linken und Grünen vom 21. Februar, gemeinsam mit CDU eine Lösung für Thüringen zu finden, wird erneut durch die Parteispitze von CDU torpediert und ein striktes Verbot ausgesprochen.
Besonders schlimm empfinde ich, wenn heute Leute wie der CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak sich anmaßen, über die DDR, Stacheldraht und SED-Diktatur zu diskutieren und alles und jeden schlecht zu reden. Es gab mehr als nur SED und Staatssicherheit (übrigens genau so wie in der Alt-BRD den BND u.a. geheimdienstliche Organisationen, die gewiss nicht nur Däumchen gedreht haben, über die aber als „Sieger der Geschichte“ niemand redet).
Man stellt sich die Frage, wer denn diese großen Redner wie Herr Ziemiak sind bzw. waren. Woher kommen deren Lebensweisheiten? Selbst erst 1985 in Polen als Pawel Ziemiak geboren, von dem Leben in der DDR bis 1989 sicher nicht viel, wahrscheinlich gar nichts mitbekommen, schwingt sich heute auf, über DDR und Stasi zu urteilen. Das Verhalten von CDU/CSU in heutiger Zeit ist in meinen Augen nichts anderes als die Fortsetzung des ideologischen Krieges, wie er zu Zeiten des kalten Krieges bis 1989 herrschte.
Wo bleiben hier die vielversprochenen Freiheiten und Demokratie. Diese gibt es bis dahin, wo sie an die Machtinteressen Einzelner stoßen. Unser alter Geschichtslehrer Emil E., ein ehemaliger Offizier der Wehrmacht, hat uns angesichts seiner Erfahrungen stets gelehrt, uns bei der Beurteilung der aktuellen politischen Situation stets zuerst die Frage zu stellen: „Wem nutzt es“. Man muss nicht im „Sozialismus“ aufgewachsen sein, um zu erkennen, wie Recht er hatte.
Passt es nicht in das politische Kalkül der herrschenden Kreise, sprechen sie eben einmal ein paar Verbote aus. Geht es nicht mit Gesetzen, dann eben mit Parteibeschlüssen. Was interessieren da die Interessen der Wähler.
Das nenne ich „Demokratie und Freiheit“ (für wen?) !
Die Spitzen von CDU und CSU sowie FDP und deren Mitläufer sollten endlich begreifen, dass die Bürger der ehemaligen DDR zu denken gelernt haben. Alleine die Schreie von „Freiheit“ und „Demokratie“ erschöpfen sich nicht darin, alles zu tun, was uns die Spitzen von CDU/CSU und FDP einzureden versuchen.
Sie sollten endlich begreifen, dass die Partei DIE LINKE alles andere ist als nur die Nachfolgepartei der SED. Diese Partei vereint Vertreter aus allen Landesteilen. Die Mehrheit der Mitglieder kommt aus den Altbundesländern (WASG). Hinzu kommen Mitglieder der ehemaligen SED (PDS) und eine Vielzahl von Neumitgliedern. Nicht zu vergessen die Vielzahl derer, die erst nach 1989 geboren oder nach der Wende im Sinne bundesdeutscher Schulpolitik erzogen wurden und aufgewachsen sind. Sie alle entstammen der Mitte des Volkes.
Insoweit verlangt ein demokratisches Miteinander, diese zugelassene Partei auch als solche anzuerkennen und zu akzeptieren. Alles Andere ist kontraproduktiv und hilft Andersdenkenden (mit Blick auf die AfD), Machtpositionen zu erklimmen.
Darüber hinaus sollten die Herren Ziemiak und Co (so auch der Bundestagsabgeordnete Herr Hauptmann für Hildburghausen) nicht vergessen, dass auch eine Vielzahl ehemaliger „Blockflöten“ aus CDU, LDPD, NDPD und DBD Unterschlupf in den Altparteien von CDU und FDP gesucht und gefunden haben. Ist schon einmal jemand auf die Idee gekommen, deren Rolle beim Aufbau der DDR, deren Rolle bei Sicherheitsbeschlüssen der Regierung der DDR und deren Rolle zur Stärkung der Sicherheitsdoktrinen der DDR-Führung zu untersuchen?
Da ist es ja einfacher, deren geistige Rolle für das eigene Machtstreben für sich zu nutzen, um erstarkenden Kräften von links Steine in den Weg zu werfen. Auch hier gilt. „Wem nutzt es“.
Der Wählerwille in Thüringen hat gezeigt, dass eine Mehrheit der Bürger sich eine Regierung unter Bodo Ramelow wünscht. Das Machtstreben einiger Größen aus CDU und FDP hat in Thüringen gezeigt, wohin das führt. Ich kann mich daher nur den Rufen einer Vielzahl von Demonstranten bei der machtvollen Demonstration von Erfurt am 15. Februar 2020 anschließen, die da u.a. lauteten: „Wacht auf, Verdammte dieser Erde.“
Wolfgang Juch
Hildburghausen
Foto: Pixabay
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