Existenzbedrohliche Lage: Thüringer Freizeitunternehmen wenden sich mit Offenen Brief an Staatskanzlei
Erfurt/Landkreis Hildburghausen. 67 Geschäftsführer von Thüringer Freizeitbetrieben haben sich in einem Hilferuf an die Staatskanzlei gewandt. „Viele von uns stecken in einer existenzbedrohlichen Lage. Es ist ungewiss, wie lange wir durchhalten können“, heißt es in dem Offenen Brief der Thüringer Freizeitbetriebe. Auch das Feriendorf Auenland und der Ballonsportclub Hildburghausen e.V. sind mit dabei.
Offener Brief der Thüringer Freizeitunternehmen an die Landesregierung des Freistaates Thüringen
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Ramelow, sehr geehrte Frau Ministerin Taubert, sehr geehrter Herr Minister Tiefensee, sehr geehrte Fraktionsvorsitzende der Thüringer Landtagsparteien, die Corona-Krise hat uns alle fest im Griff. Es geht um die Gesundheit von Millionen, um unsere Zukunft – aber auch um unsere Wirtschaft.
Die Freizeitbranche verfügt über kein eigenes Sprachrohr, viele einzelne Zweige unseres weitläufigen Sektors nicht über Dachverbände. Daher haben sich die hier unterschreibenden 67 Unternehmen zu dieser Initiative zusammengefunden, um Ihnen einen Überblick über die teils dramatische Lage der Unternehmen in unserem Sektor in Thüringen zu verschaffen und Ihnen einige Löcher in den bislang veröffentlichten Hilfsprogrammen aufzuzeigen. Wir wollen zu notwendigen Denkprozessen hinsichtlich der Rettung unserer Branche anregen und unsere Kommunikationsbereitschaft signalisieren.
Wir sind froh und dankbar, wie schnell vielen unserer Mitarbeiter*Innen über staatliches Kurzarbeitergeld geholfen werden kann. Die Bundes-, Landes- und Kommunalpolitik agiert aktuell sehr zeitnah und bringt laufend neue Hilfspakete und Gesetzesänderungen auf den Weg. Das ist großartig, denn auch für Sie alle ist diese Situation neu.
An Freizeitvergnügen denkt dabei im Moment sicher niemand – über Freizeitunternehmen spricht auch niemand, lediglich über die Gastronomie. Doch unsere Branche, die Freizeit- und Kreativbranche, ist mit am härtesten betroffen: Von heute auf morgen wurden alle von uns dar- und angebotenen Freizeitaktivitäten und Dienstleistungen ausnahmslos eingestellt und alle Betriebsstätten mit Publikumsverkehr zum Wohle der Allgemeinheit zwangsgeschlossen. Es fließen keinerlei Einnahmen mehr. 100%iger Umsatzrückgang bei vielen von uns. Uns allen ist klar: Gesundheit geht vor, Freizeitvergnügen hat momentan keinerlei Priorität. Dafür haben wir vollstes Verständnis. Wir sorgen uns jedoch berechtigt um unseren Wirtschaftszweig im Allgemeinen und sehen sofortigen und nachhaltigen Handlungsbedarf.
Wir sind ein, von der Anzahl der Unternehmen abgeleitet, großer Wirtschaftszweig in Thüringen. Und viele von uns stecken in existenzbedrohender Lage. Es ist ungewiss, wie lange wir durchhalten können. Wir gehören alle zu den Kleinstunternehmen, Kleinunternehmen oder zum typischen Mittelstand mit 11 bis 250 Mitarbeiter*Innen. Aktuell erreichen uns jedoch kaum geeignete Hilfen oder Hilfsangebote, um die Krise durchstehen zu können.
Unsere Branche in Zahlen
Durchschnittlich 15,5%* des Nettoeinkommens geben Thüringer Beschäftigte pro Monat für Freizeit und kommerziellen Sport aus. Bei 1.048.200** Erwerbstätigen mit einem Durchschnittssteuersatz von 18,5%*** sind das monatliche Umsätze in Höhe von 338 Millionen Euro.
* DESTATIS, Statistisches Bundesamt, Stand 2019,
** Thüringer Landesamt für Statistik, Stand 2018,
*** Bundesagentur für Arbeit, Stand 2019.
Der verlorengegangene Umsatz lässt sich größtenteils nicht verschieben oder nachholen, daher sind Kredite für viele von uns eher Alptraum als Ausweg. Solang wir das weitere Vorgehen der Behörden, die Maßnahmen der Politik und die Folgen für das gesellschaftliche Miteinander nicht absehen können, will kaum jemand einen Kredit für diese unsichere Zukunft aufnehmen. Wir brauchen Informationen oder Szenarien, um planen zu können.
Konkret geht es allein bei den hier unterzeichnenden Freizeitbetrieben um 791 Arbeitsplätze. Die gesamte Freizeitbranche des Freistaats hat Tausende mehr.
Menschen, die ihre Arbeit lieben und davon leben. Menschen, die durch ihre Arbeit anderen Freude, Abwechslung, Ablenkung, Motivation und Erholung bringen. Die soziale Bedeutung unseres Sektors, neben der wirtschaftlichen, scheint aktuell nicht berücksichtigt zu werden.
Im Jahr 2019 hatten wir, die Unternehmen hinter dieser Initiative, zusammen über 2.871067 glückliche BesucherInnen in unseren Freizeitstätten! Es geht also auch darum, wie wir den Menschen nach der Zeit des Kontaktverbots und #bleibtzuhause wieder Abwechslung, Aktivität, Bewegung und Unterhaltung bieten können. Wenn das Schlimmste überstanden ist, dann wollen sie raus, sich bewegen, etwas gemeinsam unternehmen. Sie wollen klettern, ins Kino gehen, Trampolinspringen, Schwimmen, zum Fitnessclub gehen, Bowlen, Teamspiele spielen, Abenteuer erleben – wieder normal leben.
Doch wo? Denn viele von uns wird es dann nicht mehr geben – es sei denn, die Städte und Kommunen, der Freistaat und der Bund schaffen JETZT und schnell unkomplizierte Hilfen und Klarheit. Gerne möchten wir Sie dabei mit konkreten Vorschlägen unterstützen.
Natürlich sind unsere Unternehmen und Herausforderungen vielfältig und individuell unterschiedlich – nachfolgend haben wir die meistgenannten Sorgen und Forderungen formuliert und bitten Sie, lösungsorientierte Denkprozesse anzustoßen:
1. Minijobber, Auszubildende & studentische Aushilfen
In der Freizeitbranche sind zahlreiche Minijobber und studentische Aushilfen beschäftigt, weil unser Sektor in den Randzeiten wirtschaftet. Zu uns kommen die Leute in ihrer Freizeit und am Wochenende. Daher brauchen wir viele Köpfe in vielen Schichten. Ohne diese Mitarbeiter oder mit ausschließlich Vollzeitangestellten würden die meisten unserer Unternehmen nicht zurechtkommen. Wir schaffen zudem Zuverdienst und Perspektiven für Menschen, die noch am Anfang ihres beruflichen Lebens stehen, von ihrem Hauptberuf nicht leben können oder ihre Ausbildung finanzieren müssen. Und genau diese Menschen werden nun im Stich gelassen – denn Auszubildende, Minijobber und studentische Aushilfen haben keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld oder andere Ausfallsstützen.
Hier brauchen wir dringend Unterstützung. Wir wollen diese Mitarbeiter*Innen nicht verlieren und wollen sie nicht in die Ungewissheit entlassen, da sie fester Bestandteil unserer Wiederaufbaupläne sind. Aber wir können sie nicht über Monate ohne jegliche Einnahmen aus Betriebsmitteln oder aus eigener Tasche finanzieren. Sollten sie gezwungen sein, sich eine alternative Beschäftigung/Zuverdienst zu suchen und wir sie dadurch verlieren, so entsteht uns als Unternehmern zu Beginn der Wiederaufbauphase der nächste Schaden – aufwändiges Suchen, Finden, Einlernen und Schulen von neuem Personal.
2. Mieten
Freizeitunternehmen brauchen für ihr Geschäft oft riesige Flächen von vielen Hunderten bis Tausende von Quadratmetern. Diese sind in aller Regel gemietet. Die Miete für diese Flächen ist dementsprechend hoch und fällt auch in Schließzeiträumen an – denn Vermieter*Innen leben ebenso von diesen Einnahmen. Hier braucht es eine staatliche Lösung, die Lasten müssen auf alle gleichmäßig verteilt werden und dürfen nicht nur die behördlich von ihren Einnahmen abgeschnittenen Mieter und Unternehmer schlecht stellen. Für manche von uns sind die einmaligen Soforthilfen für Kleinstunternehmen und Einzelunternehmen ausreichend, doch für eine Vielzahl von uns ist es der Tropfen auf den heißen Stein.
Wir schlagen daher eine Art „Kurzmietengeld“ vor, bei dem der Staat anteilig die Mieten von privaten Unternehmen übernimmt! Würde der Staat zum Beispiel mit 60% der Mietkosten in der Zeit der Schließung einspringen, könnten Vermieter und Mieter sich über die Differenzbeträge verständigen.
3. Finanzierungshilfen & Subventionen für den Mittelstand
Ab 10 Arbeitskräften im Betrieb können bald Kredite von den Hausbanken vergeben werden, für deren Haftung der Staat zu 100% auftritt. Viele unserer Unternehmen sind aber Kleinstunternehmen oder Kleinunternehmen, die dennoch für gewöhnlich beträchtliche Reichweite und Umsätze erbringen. Jetzt gibt es keine Umsätze und die Kredite bleiben uns verwehrt. Auch wenn die Betriebe noch nicht drei Jahre gewinnerwirtschaftend (am Stück) am Markt sind, bleiben uns die Kredite verwehrt.
Die Bildung von Rücklagen ist in unserem Sektor ähnlich schwierig, wie in der Gastronomie. Wir wirtschaften größtenteils gesund, aber von der Hand in den Mund.
Wir fordern zusätzlich in Thüringen tilgungsfreie Subventionen auch für den Mittelstand, nicht nur für Kleinunternehmen – denn Kredite verschieben das Problem nur, lösen es aber nicht. Wir werden ganz ohne eigenes Verschulden monetär hochverschuldet aus dieser Krise hervorgehen. Die Tilgung wird uns über Jahre belasten und Investitionen in die Zukunft unmöglich machen – wenn wir überhaupt überleben. Als mittelständische Unternehmen, die über Jahre wirtschaftlich gehaushaltet haben, fühlen wir uns im Stich gelassen: Zuschüsse ohne Tilgungspflicht erreichen momentan nur Kleinunternehmen. Dabei geht es gerade im Mittelstand um Tausende von Arbeitsplätzen und das Herz unserer Wirtschaft. Wir stehen vor einem riesigen Stapel bürokratischer Anträge mit vielen „Wenn“ und „Aber“, nur ohne Aussicht auf schnelle Hilfe.
4. Private Existenz der Unternehmer*Innen absichern
Unsere Arbeitnehmer können teilweise durch Kurzarbeitergeld gehalten werden, doch viele Unternehmer bestimmter Betriebsformen (Beispiel: Gesellschafter einer GbR, OHG, Einzelunternehmer, Gesellschafter einer KG [in der Regel, bei der KG kann es auch Ausnahmen geben]) haben keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld und leben ausschließlich von den erwirtschafteten Gewinnen. Keine Einnahmen = kein Gewinn. Die Unternehmer, das sind wir. Wir, die das gesamte wirtschaftliche Risiko des Unternehmens tragen, die die Verantwortung für die Arbeitnehmer tragen. Wir, die unser teils sehr langwierig und mühsam aufgebautes Unternehmen schon jetzt oder bald in Trümmern liegen sehen, erhalten keine Unterstützung, keine Grundversorgung, kein Existenzminimum… Unsere Rücklagen müssen für die Fixkosten unserer Unternehmen reichen und für die private Existenz.
Wir schlagen hier eine Grundsicherung für Unternehmer*Innen vor, die ihre Unternehmen am Laufen halten.
5. Entschädigungen
Bislang wird erwartet, dass die Kosten für den Schutz des Allgemeinwohls – nämlich die Kosten, die durch unsere Unternehmensschließungen entstehen – allein von den Unternehmen selbst durch eigene Liquiditäten und Kredite, die über viele Jahre zu Schulden führen, getragen werden. Dabei sieht das Infektionsschutzgesetz ausdrücklich Entschädigungen für Unternehmen vor, die auf Basis dieses Gesetzes durch die Behörden zwangsgeschlossen werden. Ja, die heutige Situation ist neu. Aber die Kosten für eine gesamtgesellschaftliche Krise dürfen nicht einzelne Wirtschaftszweige tragen – dies muss die Allgemeinheit, also der Staat, tun.
Bitte schaffen Sie hier schnell Klarheit und prüfen Sie Entschädigungen durch staatliche Mittel! Diese Mittel werden dringend für die erwartungsgemäß langwierige Wiederaufbauphase benötigt.
6. Exitstrategien
Es geht nicht nur um die aktuellen Monate der Totalschließung unserer Betriebsstätten, sondern auch um den Fakt, dass selbst wenn wir „durchhalten“ und alsbald Lockerungen der aktuellen Kontakteinschränkungen beschlossen werden, wir eine Phase des Wiederaufbaus vor uns haben. Mit welchen Mitteln? Für gewöhnlich wirtschaften wir vernünftig und bezahlen unsere Werbekosten aus den Einnahmen. Aktuell werden gerade alle Rücklagen, sofern vorhanden, für die fortlaufenden Kosten verbraucht. Viele von uns werden weder die Arbeitskräfte, noch die Mittel für eine erwartungsgemäß längere Wiederanlaufphase haben. Es wird durch Corona auch Veränderungen im gesellschaftlichen Miteinander geben, ebenso hinsichtlich der Kaufkraft eines Großteils der Bevölkerung. Auch das bedeutet für unseren Sektor, dass die Wiederanlaufphase sich stark in die Länge ziehen kann.
Wir verstehen, dass eine Situation wie die aktuelle noch nie dagewesen ist und es keine Pläne in den Schubladen gibt. Aber wir brauchen eine grobe Perspektive, allein schon, um unsere Liquidität sinnvoll planen zu können. Die Banken verlangen das auch von uns, wenn wir Kredite wollen. Reden wir von zwei Monaten, sechs, oder zwölf?
Keiner von uns glaubt, dass das Leben nach Ostern wieder seinen gewohnten Weg gehen wird, wie die aktuellen Verfügungen es als Schließzeitraum noch vorsehen. Wir sind auch bereit, hier unsere gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen und Menschen zu schützen, indem sie nicht in Massen zu Sport- und Freizeitaktivitäten gehen. Aber wir brauchen einen schrittweisen Exitplan, um nicht zugrunde zu gehen.
Wir möchten Ihnen konkrete Vorschläge machen, wie Gäste, unter Einhaltung von Schutzmaßnahmen, in kleineren Gruppen wieder schrittweise unsere Angebote wahrnehmen können. Dazu benötigen wir individuell den Unternehmen angepasste Modelle, die wir gerne mit Ihnen erarbeiten möchten.
Wir brauchen Sie als Politiker*Innen, um in Situationen wie diesen zu unser aller Wohl Grundsatz-Entscheidungen zu fällen und uns vor allem schnell zu helfen. Wir hören auch gern auf die Experten, die die Gesamtsituation fachmännisch beurteilen. In unseren Zweigen unseres Sektors sind jedoch auch wir Experten und können zuarbeiten. Wir kennen unsere Branche besser als jeder andere. Deswegen solidarisieren wir uns, unterstützen uns gegenseitig und möchten versuchen, gemeinsam mit Ihnen Ideen und Lösungen zu finden, um aus dieser Lage wieder herauszukommen.
Bitte handeln Sie!
Wir als Unternehmer im Freizeit- und Kreativsektor garantieren Ihnen, dass wir unsere Kreativität, unsere Ideen sowie unseren unternehmerischen Geist und Willen dafür einsetzen werden, damit dieser Sektor, der viele Bedürfnisse der Bevölkerung abdeckt und ihr Freude bringt, auch nach der Krise funktioniert und breit aufgestellt ist. 2.871.067 Kunden und Konsumenten im Jahr 2019, allein bei unseren, hier unterzeichnenden Unternehmen.
Wir wissen so gut wie Sie, was das für die kommunalen und staatlichen Kassen in Form von Umsatzsteuern, Gewerbesteuern, Kapitalertragssteuern und Einkommenssteuern bedeutet. Hoffentlich werden wir JETZT nicht vergessen, sondern bedacht. Hoffentlich wird unsere wirtschaftliche und unsere soziale Bedeutung JETZT nicht unterschätzt.
Gemeinsam wollen wir nach der Krise „Corona“ wieder aus den Köpfen der Menschen bekommen und ihnen wieder Lust am Leben schenken.
Bitte geben Sie unserer Branche, dem gesamten Freizeitsektor des Freistaats, in den nächsten Tagen öffentlich eine Rückmeldung. Wir sind bereit für einen Austausch und liefern Ihnen gerne alle benötigten Informationen zu unseren realen Nöten, damit Sie hoffentlich angemessene, helfende bis rettende Finanzinstrumente und Lösungen mit uns erarbeiten können. Lassen Sie uns gemeinsam einen Plan schmieden, damit Thüringen auch und besonders nach der Krise noch Orte der Freude und Bewegung hat.
Thüringen ist das erste Bundesland, neben der freien Stadt Hamburg, in der sich eine solche Initiative des Freizeitsektors zusammengeschlossen hat, um Gehör zu finden. Lassen Sie uns auch Vorreiter sein, bei den Lösungsansätzen. Denn unser Problem ist auch ein Bundesproblem.
Hochachtungsvoll,
Jan Quilitzsch (Abenteuersiedlung Weimar, Escape Room Jena, Weimar, Erfurt),
Susanne Zapf (Zuhause Bar & Events GbR)
Sascha Weise (Eventschloss Beichlingen)
Als Ansprechpartner, stellvertretend für die Initiative.
Weimar, 8. April 2020
Den Offenen Brief und alle unterzeichnenden Unternehmen finden Sie hier.
Foto: Pixabay
Titelbild: Das Feriendorf Auenland gehört mit zu den Unterzeichnern. Sie veranstalten jedes Jahr das beliebte Woodstock Forever Festival auf ihrem Gelände. Foto: Feriendorf Auenland