Ich brauche keine Politiker, Journalisten, Kommentatoren und andere, die mir täglich vorschreiben wollen, wie ich die Welt zu sehen habe
Kommentar zum Leserbrief von Thomas Perlick: „Das Gute, das Böse und die Wahrheit“ vom 19. September 2020 in der Südthüringer Rundschau:
Leserbrief. Es muss ja nicht zutreffend sein, aber ich habe den Eindruck, dass der Herausgeber der Südthüringer Rundschau mit seinem Artikel über die fast ausgestorbene Hausschlachtung vor Ort viele Leser angesprochen hat. So finden immer mehr Leser den Mut, ihre Meinungen zu aktuellen Problemen und Ereignissen offen und bedacht in ihren Zuschriften auszudrücken.
Damit verbinde ich aber auch die Hoffnung, dass sich noch weitere Leser an diesen Diskurs beteiligen. Herrn Emmert gebührt für die Veröffentlichung dieser Leserbriefe, als Zeichen für gelebte Demokratie, mein Dank. In den Massenmedien wird zwar dauernd von Meinungsfreiheit und Demokratie geredet, ist es aber wirklich so?
Auf der Internetseite der Rundschau wurde am 19. September ein offener Brief an Ralf Eisenblätter unter der Überschrift „Das Gute, das Böse und die Wahrheit“ veröffentlicht. Unter der gewählten Überschrift habe ich natürlich erwartet, dass sich der Leserbriefschreiber auch zu den Inhalten dieser Begriffe äußert. Leider konnte ich nicht entnehmen, wie er anhand dieser Begriffe den Bezug zu den Ausführungen der Leserbriefe von Herrn Eisenblätter begründet. Deshalb möchte ich dazu meine Sicht darlegen, ohne auf alle Details eingehen zu können.
Mein Gedanke war sofort bei der Rede von Herrn Perlick, die er in diesem Jahr am „Tag der Befreiung vom Hitlerfaschismus“ über den lutherischen Theologen Dietrich Bonhoeffer gehalten und diesen darin als eine Lichtgestalt im Wirken gegen den Faschismus bezeichnet hat. Ist Bonhoeffer in dieser Hinsicht nicht eine Verkörperung für das Gute? Er handelte, wie es Erich Kästner in einem Zitat schon 1933 zum Ausdruck brachte und dessen Bedeutung, gerade jetzt, nichts an Aktualität verloren hat:
„An allem Unfug, der passiert, sind etwa nicht nur die schuld, die ihn tun, sondern auch jene, die ihn nicht verhindern.“
Wegen seines konsequenten Eintretens gegen das menschenfeindliche System des Faschismus in Deutschland wurde Bonhoeffer ohne Gerichtsverhandlung noch im April 1945 im KZ Flossenbürg hingerichtet. Er hatte sich nicht, wie die meisten Deutschen, von der Propaganda der Herrschenden vereinnahmen lassen. Ich sehe in diesem, immer noch in weiten Kreisen der Bevölkerung vorhandenem Gedankengut, sehr große Gefahren.
Warum wird nicht über die Anfänge und Ursachen des Faschismus mit wirksamen Maßnahmen aufgeklärt? Das Bundesamt für Verfassungsschutz verzeichnet in seinem erstmals erstellten Lagebericht zu Rechtsextremisten in den deutschen Sicherheitsbehörden mehr als 350 Verdachtsfälle. Dieser Bericht ist vertraulich gestempelt und soll im Oktober vorgelegt werden. Er untersucht allerdings nur den Zeitraum von Anfang Januar 2017 bis Ende März 2020. Die aktuellen Enthüllungen bei der Polizei und Bundeswehr sind also in dieser Zahl noch nicht erfasst. Wie konnte bei der Vergangenheit Deutschlands eine solche Geisteshaltung entstehen? Erst vor wenigen Tagen war in Römhild ein Aufkleber an einem Laternenmast angebracht, der einen mit Maschinengewehr bewaffneten Wehrmachtssoldaten zeigt. Die Aufschrift lautete: „Sie waren die besten Soldaten der Welt“ – Ist das nicht bezeichnend für das Böse?
Auch an einer anderen Stelle vermisse ich den klaren Standpunkt, den ein Leserbrief zum Ausdruck bringen sollte. Herr Perlick schreibt: „Wir leben in einem freien und demokratischen Land, dessen Freiheit und Demokratie von ganz anderem bedroht wird, als von Sicherheitsabständen und Mund- und Nasenschutz in der Öffentlichkeit.“ Wodurch sieht also Herr Perlick Freiheit und Demokratie denn nun bedroht? Müsste dazu nicht ein offener und breiter Dialog geführt werden? Mich beunruhigen bei der Suche nach einer Antwort auf diese Frage zutiefst die Worte unserer Bundeskanzlerin (CDU) beim Weltwirtschaftsforum in Davos im Januar: „Unsere gesamte Art des Lebens werden wir in den nächsten 30 Jahren verlassen“!
Weiterhin hat sie von „gigantischen Transformationen“ gesprochen. Kann sich jemand vorstellen, was mit diesen Worten bemäntelt werden soll? Gehört zu den angekündigten Transformationen auch, dass durch den angeordneten Lockdown immer mehr Geschäfte, kleine Läden, Gaststätten und… ihre wirtschaftliche Grundlage verlieren? Da sagen dann Amazon und Co. Danke. Das Großkapital wird nach deren Insolvenzen alles mit Systemgastronomie und Kettenläden übernehmen.
Wird es so werden, wie es der ehemalige hessische Finanzminister Thomas Schäfer (CDU) in seiner letzten Rede am 24. März 2020 vor dem hessischen Landtag zum Ausdruck gebracht hat? Man sollte sich die Zeit nehmen und diese eindringlichen Worte, noch vom im Netz vorhandenen Video anhören. Ich möchte an dieser Stelle bezeichnende Aussagen dieser Rede anführen: „Jetzt stehen wir am Anfang einer Entwicklung von unbekannter Dimension, das ist eine Jahrhundertaufgabe, vor der wir stehen und wo wir keineswegs wissen, mit welcher Dynamik es weitergeht.“
„Wenn ich davon gesprochen habe, dass es eine Jahrhundertaufgabe ist, die wir gemeinsam vor der Brust haben, es spricht sehr, sehr viel dafür, dass das Abtragen der Ergebnisse der Jahrhundertaufgabe sich nicht auf die gegenwärtige Generation von Menschen beschränken wird , die jetzt dazu verdammt ist, diese Krise durchleben zu müssen. Es wird noch viele, viele Generationen brauchen, diese Jahrhundertaufgabe zu bewältigen.“
Macht es niemanden Angst, dass es der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann (Grüne), noch viel drastischer zum Ausdruck bringt? Zitat: „Wenn die Coronakrise überwunden ist, dürften viele Menschen in Baden-Württemberg danach deutlich weniger im Geldbeutel oder auf dem Konto haben. Wir erwarten für die Zeit nach der Krise harte Verteilungskämpfe.“
Diese Ausführungen sind ausnahmslos von den öffentlich rechtlichen Medien verbreitet worden und keine Fake News. Es kann sich also niemand damit rausreden, dass er das alles nicht gewusst haben kann, man muss nur aufmerksam zuhören bzw. sich umfassend informieren! Es sind die Inhalte dieser Aussagen und die grenzenlose Gier nach Geld, von denen Freiheit und Demokratie weltweit bedroht werden. Wie soll man es sonst bezeichnen, wenn Bill Gates mit seinem zu entwickelnden Medikament einen Profit von 2.000 Prozent erzielen will. Handelt er etwa aus Sorge um das Wohl der Menschheit oder aus christlicher Nächstenliebe? Sind die Dimensionen dieser Profitgier überhaupt noch mit menschlichem Verstand zu begreifen?
Gewiss kann der Inhalt meines Leserbriefes beanstandet werden. Ich habe aber versucht, den Worten eines berühmten deutschen Philosophen gerecht zu werden. Immanuel Kant war Professor für Philosophie, die man auch als die Wissenschaft vom Denken bezeichnet. In einem seiner wichtigsten Werke über die Aufklärung schrieb er vor nunmehr fast 250 Jahren: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus selbst verschuldeter Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist der Wahlspruch der Aufklärung.“
Ich brauche also keine Politiker, Journalisten, Kommentatoren und andere, die mir täglich vorschreiben wollen, wie ich die Welt zu sehen habe. Ungeachtet dessen, möchte ich meinen Leserbrief aber mit den aufmunternden Zeilen von Dieter Hallervorden beenden.
Karl-Heinz Popp
Römhild
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