Tilo Kummer: Wir müssen wirklich reden!
Hildburghausen. Letzten Donnerstag (3. Februar 2022) hing am Marktbrunnen ein Transparent, welches mich und Landrat Müller zum Dialog aufforderte. Den Erstellern ging es sicherlich um den Polizeieinsatz vom Mittwoch (2. Februar 2022), wahrscheinlich auch um die Corona-Maßnahmen.
Ja, wir brauchen den Dialog! Neben dem Umstand, dass ich für alle Menschen in unserer Stadt zu sprechen bin (Termine vergibt mein Büro in der Stadtverwaltung) versuche ich seit Monaten, auch mit den sogenannten Spaziergängern ins Gespräch zu kommen. Da ich keine Einladungen erhielt und die Veranstaltungen auch nicht angemeldet waren, ging ich hin, wenn die Polizei das Ordnungsamt mal um Unterstützung bat, Parkplätze für Einsatzfahrzeuge zur Verfügung zu stellen. In solchen Dingen besteht nämlich die Zusammenarbeit zwischen Stadtverwaltung und Polizei. Die Polizei selbst ist dem Innenministerium unterstellt und nicht dem Bürgermeister oder Landrat.
Das Ergebnis meiner Bemühungen: ich wurde beschimpft, ein Nazikriegsverbrecher zu sein, der Menschen wie in einem Konzentrationslager behandelt. Diejenigen, die mir das vorwarfen, schienen das wirklich zu glauben! Das hat mich sehr beschäftigt. Zum miteinander reden gehört für mich auch, dem Anderen zuzuhören und sich in dessen Lage zu versetzen. Wie kann sich also heute jemand fühlen wie 1944 in Buchenwald, wo ich sofort Bilder von Leichenbergen und bis auf die Knochen ausgemergelten Überlebenden im Kopf habe, welche amerikanische Soldaten damals dokumentierten? Ein Gleichnis verbietet sich!
Offenbar bedrückt einige unserer Mitmenschen die aktuelle Situation mit all den Einschränkungen des täglichen Lebens und all den unübersichtlichen Vorschriften so sehr, dass ihre Angst vor der weiteren Entwicklung und den Auswirkungen auf ihr Leben dieses Gleichnis für sie rechtfertigt.
Bestätigung in dieser Sicht fand ich in einem langen Telefonat mit einem der Ärzte, die den Aufruf gegen die Coronamaßnahmen unterzeichnet hatten. Er schilderte mir aus seiner täglichen Erfahrung im Umgang mit Patienten, welche verheerenden Folgen permanente Angst zum Beispiel auf den Krankheitsverlauf bei einer Coronainfektion hat. Ich finde, dass ist trotzdem kein Grund, alle Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie abzulehnen. Aber wir müssen Wege zur Eindämmung der Angst finden!
Beim Thema Angst bin ich gleich bei den Polizisten auf unserem Markt, die den Auftrag hatten, geltendes Recht durchzusetzen. Ich fühle mich nicht wohl, wenn eine Gruppe der Bereitschaftspolizei in voller Montur auf mich zugelaufen kommt. Aber warum müssen sie diese Sachen tragen? Und was geht in ihren Köpfen vor, wenn sie eine illegale Zusammenkunft auflösen sollen, zu der unter anderem als gewaltbereit bekannte Neonazis aufgerufen haben? Es war erst ein paar Tage her, dass in Deutschland zwei Polizisten bei einer Verkehrskontrolle erschossen wurden! Tagtäglich müssen sich die Beamten Beleidigungen anhören, leider werden sie inzwischen auch regelmäßig tätlich angegriffen. Das ist kein Freibrief für unangemessene Gewalt gegenüber Demonstranten. Solche Vorfälle müssen aufgeklärt werden und das wird die Polizei auch tun. Am besten wäre es jedoch gewesen, wenn den Demonstranten und Polizisten die Auseinandersetzung erspart geblieben wäre. Eine einfache Anmeldung der Versammlung hätte gereicht. Bei der Demonstration, die im letzten November auf dem Markt von der Polizei aufgelöst wurde, hatten die Beamten den „Spaziergängern“ sogar noch angeboten, eine Spontandemo direkt vor Ort anzumelden. Leider ließ man sich nicht darauf ein, es kam in der Folge zur für die Polizisten vorgeschriebenen Auflösung der Demonstration und zur Personalienfeststellung.
Nach aktuell geltendem Recht dürfen auf einer angemeldeten Versammlung beliebig viele Menschen unter freiem Himmel ihre Meinung äußern. Den notwendigen Abstand für die Hygienevorschriften lässt unser Markt zu und eine Maske oder einen Schal wird man in der Zeit sicher tragen können. Eine solche Versammlung wäre dann durch die Polizei zu schützen. Man könnte eine Lautsprecheranlage aufstellen und sagen, was sich aus der eigenen Erfahrung heraus ändern muss!
Themen gibt es viele, die auch mich bewegen. Zum Beispiel die Unübersichtlichkeit der rechtlichen Vorgaben. Selbst Menschen, die sich täglich damit auseinandersetzen müssen, verlieren manchmal den Überblick. Mir ging es selbst schon so, als ich beim Friseur behauptete, ich würde unter die 2G-plus Regelung fallen mit meiner Impfung, die erst drei Monate her war. Ich hatte am Abend vorher einen Verordnungsentwurf gelesen, in dem das stand. Allerdings war dieser Entwurf noch nicht in Kraft getreten und ich brauchte einen Test. Wenn man solche Regelungen nachlesen will, muss man sich inzwischen durch ein Gesetz, Bundes- und Landesverordnungen, Allgemeinverfügungen der Landkreise und die Auskünfte auf den Internetseiten des Robert Koch-Instituts und Paul Ehrlich-Instituts kämpfen. Dazu kommt noch die fehlende Verständlichkeit des Juristendeutschs. Aber umsetzen soll die Vorgaben jeder, bei Androhung von Ordnungsgeldern. Das verunsichert, macht auch Angst.
Die ständigen Änderungen der Vorschriften sind ein weiteres Problem. Ohne größere Vorwarnzeiten mussten in der Vergangenheit Kindergärten, Schulen, Läden oder Gaststätten geschlossen werden. An einem Sonntag musste ich zum Beispiel die Leiterinnen der Kindergärten losschicken, um die Eltern anzurufen, dass sie ihre Kinder am Montag nicht bringen können.
Manche dieser Probleme können wir vor Ort lösen. Darüber lohnt es sich am meisten zu reden. Die Stadt stellte zum Beispiel im Dezember 2020 ihr Theater als barrierefreies, großes Impfzentrum zur Verfügung, wo in anderen Städten Menschen bei Frost im Freien auf ihren Impftermin warten mussten. Wir boten das Theater übrigens auch als Testzentrum an, um bessere Bedingungen zu ermöglichen, leider bisher vergeblich. Andere Themen können wir der Landes- und Bundespolitik mit auf den Weg geben.
Mit Beschimpfungen und Drohungen wird man aber keine offenen Ohren für Probleme finden. Und man sollte bei allem Frust auch bedenken, dass die handelnden Politiker aller Ebenen ständig mit neuen Situationen konfrontiert werden und keine Glaskugel haben, mit der sie in die Zukunft sehen können. Sie müssen sich auf der Basis der aktuellen Erkenntnisse beraten lassen und dann abwägen wie man Infektionsschutz umsetzen und das tägliche Leben gleichzeitig ermöglichen kann.
Bisher kam Deutschland relativ gut durch die Pandemie. Das Virus hat sich verändert, also müssen die Regelungen angepasst werden. Lassen Sie uns in einem zum Glück möglichen Rahmen wie einer angemeldeten Versammlung oder in Diskussionsrunden im Internet über die richtigen Wege diskutieren. Aber bitte in einer Form, die es uns ermöglicht, dass wir uns auch nach der Pandemie noch in die Augen sehen und vernünftig miteinander umgehen können!
Tilo Kummer
Bürgermeister Hildburghausen
Diskussionsangebote:
• 21. Februar um 17 Uhr: eine von Steffen Harzer angemeldeten Versammlung der demokratischen Parteien, Wählergruppen, der Kirchen und des Bündnis für Demokratie und Weltoffenheit Themar und Kloster Veßra unter dem Motto „Lichter für Hildburghausen“ auf dem Markt, auf der unter anderem den derzeit 380 Toten der Corona-Pandemie im Landkreis Hildburghausen gedacht werden soll
• 23. Februar ab 18 Uhr: Dialogangebot der Stadtverwaltung gemeinsam mit dem Landratsamt im Rahmen der 2. Diskussionsrunde rund um Corona in einem YouTube-Kanal.
Titelbild: Privat