Verfassungswidrige Beschränkungen der Grundrechte von Senioren wie im April dürfen nicht mehr folgen
Leserbrief. Die Corona-Pandemie kommt mit einer stärkeren zweiten Welle zurück. Bei der ersten war man völlig unvorbereitet, weil man die Ausmaße und die Entwicklung nicht vorhersehen konnte. Seit Mitte Mai dachten viele, dass das Schlimmste überstanden sei und der Landkreis Hildburghausen sehr glimpflich davon gekommen wäre. Es sieht leider anders aus.
Nun lese ich, dass das Helios-Klinikum die Krankenbesuche wieder verbietet. Mir schwant schon Böses, dass nach einem weiteren Anstieg der Infektionszahlen, die Senioreneinrichtungen ebenfalls rigoros geschlossen werden.
Gerade mir liegen die Seniorinnen und Senioren sehr am Herzen. Die Corona-Hochphase im März und April war gerade für viele Senioren und deren Angehörigen eine besonders schlimme Zeit. In Pflegeheimen mussten sie wochenlang fast ohne jeglichen Kontakt zur Außenwelt ausharren. Das System der häuslichen Pflege, in dem viele Pflegekräfte aus dem osteuropäischen Ausland kommen, schien kurzzeitig vor dem Kollaps zu stehen. Von Mitte März bis Anfang Mai waren nach der Coronaschutzverordnung mit nur wenigen Ausnahmen alle Besuche untersagt gewesen, „die nicht der medizinischen oder pflegerischen Versorgung dienen oder aus Rechtsgründen erforderlich sind“. Selbst die Mahlzeiten mussten die Heimbewohner in einigen Einrichtungen alleine auf dem Zimmer einnehmen.
Keine einfache Situation, vor allem für die vielen Demenzkranken unter den Heimbewohnern, die nicht verstehen konnten, warum sie Distanz halten mussten und Angehörige wegblieben. Im Speziellen diese Personen brauchen einen extremen Zuspruch und man nahm Ihnen die Würde. Wesensveränderungen, Aggressivität und Apathie stellten sich ein, was vom Fachpersonal registriert und den behördlichen Stellen mitgeteilt wurde – doch gehandelt wurde nicht.
In einem Interview mit der Frankfurter Rundschau von Ende April erklärte Altenforscher Hans-Werner Wahl: „Positive Emotionen, das Gefühl, gebraucht zu werden, Zärtlichkeiten, all das fiel weg. Das ist sehr belastend. Auf der Straße standen die Besucher, hier saßen die Bewohner. Da gab es keine Berührungen, sie haben sich nur über das Telefon gehört und durchs Fenster gesehen. Eine sinnvolle und menschenwürdige Besuchsregel gab es nicht, weil die Krisenstäbe in den Landratsämtern überfordert und nicht fachbezogen besetzt waren.“
Ich habe mehrmals gewarnt, dass man aus den Fehlern im Frühjahr lernen sollte. Die fehlende Fachkompetenz des Landratsamtes in Sachen „Pflege“ zeigt sich am strikten Weigern, eine kompetente Pflegeberatung zu installieren. Ich weiß nicht, ob sich seit der ersten „Hochzeit“ der Epidemie im April ein runder Tisch gebildet hat. Ich weiß davon zumindest nichts, obwohl ich in dieser Zeit hauptverantwortlich für das Seniorenthema war.
Sinnvoll wäre es endlich zusammen mit dem Kreisseniorenrat, dem Kreisseniorenbüro, den Einrichtungen, Psychologen, Ärzten und fachkompetenten Seniorenpflegerinnen/pfleger einen „Senioren-Krisenstab zu bilden“, der auf die wichtigen Bedürfnisse der Senioren eingeht. Verfassungswidrige Beschränkungen der Grundrechte dieser Menschengruppe wie im April dürfen nicht mehr folgen.
Die Einrichtungen wurden damals im Stich gelassen, um somit die Verantwortung auf diese zu wälzen. Völlig verständlich aus deren Sicht war das totale Besuchsverbot. Wie sieht es diesmal aus? Hat das Landratsamt aus seinen Fehlern gelernt? Ist eine Expertenrunde gebildet worden? Wird ein gemeinsames Hygienekonzept erarbeitet oder wird nach dem gängigen Muster verfahren. Maßstäbe zu hoch ansetzen, alles ablehnen und die Verantwortung auf andere abwälzen? Wer denkt an das aufopferungsvolle Pflegepersonal? Folgte eine persönliche Anerkennung oder die üblichen Worte aus dem Munde der dortigen Verantwortlichen.
Vielleicht hat man aus seinen Fehlern gelernt? Ich würde mich sehr freuen, wenn ich lesen würde, dass man zum Wohle dieser, am Lebensende stehender Menschen, handeln und direkte Besuche erlauben würde, man Aktionen startet, die auch mal vom Landratsamt kommen und nicht nur von den Bürgern. Die Gesellschaft muss mitgenommen werden, eine Solidarität muss entstehen, um allen zu zeigen, der Landkreis steht zusammen.
Ich habe die Hoffnung noch nicht verloren, dass dies mit dem immer mehr in der Kritik stehenden Landratsamts-Spitze geht. Mit Rat und Tat stehe ich immer gern zur Seite.
Hans-Jürgen Rumm
Hildburghausen
Foto: AWO Pflegeheim „Haus Sophie“
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