Weihnachtsgrußwort des Superintendenten des Kirchenkreises Hildburghausen-Eisfeld E. F. Johannes Haak
Liebe Leserinnen und Leser,
„Brich an, du schönes Morgenlicht, und lass den Himmel tagen, du Hirtenvolk, erschrecke nicht, weil dir die Engel sagen …“
Johann Sebastian Bach – Weihnachtsoratorium – Vielleicht hören Sie es ja – in der Weihnachtszeit. Es ist ein Erlebnis.
Die schönste Musik unserer Kultur rankt sich um eine Geschichte, an der nüchtern betrachtet nur wenig stimmt. Das Fest, das die ganze Welt umspannt, und nur ganz wenige Menschen unberührt lässt. Es gründet in einer Erzählung, die einer geschichtlichen Forschung nur wenig standhält.
Quirinius war unter Augustus nie Statthalter in Syrien gewesen. Die politisch klugen und wirtschaftlich schlauen Römer hätten sich gehütet, wegen einer Steuerschätzung so viel Unruhe und Chaos hervorzurufen. Das hätte nur Geld gekostet und keines eingebracht! Und ein solches Verfahren wäre außerdem die beste Gelegenheit für Aufstand und Attentate im Unruheherd Palästina gewesen.
Und das Kind in Windeln? Wissenschaftler sagen, das kann nur das Kind von Rebellen gewesen sein, die das Neugeborene ausgesetzt haben, als Findelkind den Hirten unterschoben. Weil so ein verletzliches Menschenkind nur hinderlich war und bei ihnen selbst kaum Überlebenschancen hatte.
Woher dann rührt die Freude dieser biblischen Erzählung seit 2000 Jahren? Wenn die Fakten nur wenig stimmig sind, dann muss es etwas anderes sein. Etwas, das unserer Stimmung entspricht, das für uns stimmt.
Das Fest und die Geschichte von Weihnachten verführt, verlockt uns dazu – einmal im Jahr -, dem ein Recht einzuräumen, dem wir sonst nur schwer recht geben wollen: Der Sehnsucht, dass unser menschliches, unser eigenes Leben ein kostbares sein möge. Der Hoffnung, dass es mit dieser Welt noch nicht alles gewesen sein kann. Der Mutmaßung, dem Vertrauen, dass es einen gibt, die anderen Maßstäbe setzt.
Sehnsucht, Hoffnung, Vertrauen, – damit treten wir Menschen in eine Sprache und einen Raum, die jenseits von Forschung und Wissenschaft liegen. In eine Sprache und einen Raum, die der Vernunft nur zugänglich sind, wenn sie auch die Seele, das Empfinden, das Herz einschließt.
Hoffnung, Sehnsucht, Vertrauen – damit treten wir Menschen in die Sprache und den Raum Gottes. Weil wir diesen Regungen, diesen Schätzen unserer Existenz eine Chance geben wollen. Darum folgen wir einer Geschichte, an der nichts stimmt, und wir machen sogar ein Fest daraus. Weil Menschen wissen, dass sie verkümmern, ohne Hoffnung, ohne Sehnsucht und ohne Vertrauen. Darum geben sie Gott, dem Unglaublichen, eine Chance.
Was sagen die Geschichten über den, der kaum zu glauben ist? Welchen Grund geben sie unserer Sehnsucht, unserer Hoffnung und unserem Vertrauen?
Einen guten Grund:
Die Geschichte vom Gotteskind, das auf Erden geboren wird. Und vom Himmel, der über den Hirten aufreißt, spielt in einer Welt, die wir kennen. Sie spielt in einer Welt, in der die hohen Herren Gebote erlassen. Und die kleinen Leute sich danach zu richten haben, in welcher Lage sie sich auch befinden. Was kümmert es die Welt von Berechnung und Macht, ob ein Kind auf die Welt kommen will! Wie viele von Ihnen sind in Kriegstagen geboren worden oder in den Hungertagen danach!
Gott setzt die Gesetze dieser Welt nicht außer Kraft. Nein: er fügt sich ihnen ein. Nicht von oben hebt er auf, was herrscht und bestimmt, nein! Von innen, von unten setzt er damit, dass er sich fügt, andere Gesetze in Kraft, andere Werte ins Leben.
In der Welt, die wir Menschen kennen. Im Leben, das wir Menschen leben, ist Gott zu finden. Darin will er sichtbar, will er erfahren werden. Ob Findelkind oder nicht, das Kind in den Windeln sagt nicht mehr, als dass wir Gott nur begegnen, wenn wir ihn erwarten. Erwarten. Ihm auf die Spur kommen wollen. Inmitten unserer ganz normalen, ganz und gar üblichen menschlichen Bedingungen. Suchen Sie nicht den außergewöhnlichen, nicht den mächtigen, übersinnlichen, überirdischen Gott. Sie gehen an Gott dann nur vorbei.
Erkennen Sie Gottes Gesicht, Gottes Erscheinung in Ihrem Leben. In den Menschen, die Sie lieben. Und in denen, die Ihnen das Leben schwer machen. Hören Sie Gottes Wort in den Rätseln, den Schmerzen Ihrer Lebensgeschichte. Und vor allem suchen Sie Gott in den Freuden, im Glück, in der Dankbarkeit.
Im Weihnachtsoratorium heißt es dazu: „Jauchzet, frohlocket, auf preiset die Tage…“.
Wo immer etwas Unerwartetes, Verletzlich-Zartes gesund und ganz vor ihnen liegt, wie ein neugeborenes Kind. Geben Sie ihm Heimat, und Herberge und Schutz: Es ist Gottes Kind. Gleich welcher Nation. Es ist das Geschenk der Sehnsucht, der Hoffnung und des Vertrauens. Das in Ihrem Leben Raum finden will, wachsen will.
Genau darin, genau in dieser Nachricht, in dieser Haltung, in diesem Blickwinkel zeigen sich die anderen Werte. Das andere Gesetz, zeigt sich was wert ist und gilt vor Gott:
Das Kind, das geboren ist, wird von Engeln verkündigt. Von den ärmlichsten Hirten begrüßt und bejubelt. Jubel gilt nicht den Verordnungen der Mächtigen. Sondern dem Menschenkind, dem Neugeborenen, – zur Zeit der Kaisers Augustus. In den Krieg- und Hungertagen vor fünfundsiebzig Jahren. Oder heute in Zeiten voller Zukunftsangst. Den Sorgen um die Schöpfung der Welt und den Gegenwartssorgen.
Wenn wir es doch annehmen könnten, dieses Wort Gottes über unserem Leben. Wenn wir es gelten ließen, dass wir gesehen, angesehen und liebend begleitet sind. Wenn wir uns doch danach ausrichteten. Und aufhörten mit der Verachtung im eigenen Herzen, mit der Geringschätzung und den Drohgebärden gegen andere Menschen.
Weihnachten, – ein Fest der Liebe? Ja, natürlich, – aber nicht des Liebens zuallererst, sondern des Geliebt seins. Zuerst und für immer und von dem, der nie damit aufhört. Nicht im Versagen, der Schuld und nicht im Tod.
„In unser armes Leben, das wir so oft veracht, hast du dich ganz gegeben, und hast es wert gemacht“, so sagt es ein alter, von einem Unbekannten stammender Spruch. Ein Gebet, eine Danksagung, ein erleichterter staunender Seufzer: Wertgemacht! Sie und ich, wir alle und jedes Menschenkind auf dieser Erde.
Seit und wo immer die Geschichte vom Kind in der Krippe erzählt wird, hat Gott ein Gesicht. Mit jedem Weihnachtsfest gibt sich Gott zu erkennen. Damit wir mit ihm und mit uns selbst leben können. Ein ganzes Jahr und ein Leben lang.
Und der Engel sprach zu ihnen: „Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids … „
Heute beginnt er neu, der Weg Gottes über die Erde, – in unserer Stadt, in den Dörfern und in Ihrem Leben. Ich wünsche Ihnen ein gesegnetes Christfest und ein frohes Neues Jahr.
Ihr E.F. Johannes Haak
Superintendent des Kirchenkreises Hildburghausen-Eisfeld