Wenn Entschleunigung belastet
Sonneberg/Hildburghausen/Eisfeld. Verwaiste Spielplätze, leere Werkstätten und Kitas, kein fröhliches Lachen, kein Singen, kein Spielen, keine herzlichen Umarmungen, kein grüßender Händedruck. Wo sonst emsiges Treiben herrschte, herrscht derzeit nur eines: Stille.
Besonders schwer ist die Zeit für all jene, die nicht arbeiten dürfen, die ihre Kollegen nicht sehen können, deren Tagesstruktur nicht mehr dieselbe ist. Seit über einem Monat dürfen die insgesamt 426 Beschäftigten der Werkstätten für angepasste Arbeit (Wefa) des Diakoniewerkes ihrer Tätigkeit nicht mehr nachkommen, sie dürfen ihren Arbeitsplatz nicht mehr betreten – nicht in Sonneberg, nicht in Eisfeld, nicht in Hildburghausen. Je länger das Betretungsverbot dauert, umso schwieriger wird die Lage der Betroffenen, für sie selbst, für ihre Angehörigen und vor allem für ihr Portmonee. Denn wenn sie nicht in der Wefa arbeiten können bzw. dürfen, erhalten sie Gelder aus der Entgeldfortzahlung, und diese läuft nach sechs Wochen aus. Ein Antrag auf Grundsicherung wäre die Folge für 370 Beschäftigte in beiden Landkreisen, was sowohl Isabel Otto, zuständig für die Werkstätten in Sonneberg und Oberlind sowie den Bereich Wohnen, als auch Bodo Ulbricht, verantwortlich für die Standorte in Eisfeld und Hildburghausen, nachdrücklich betonen.
Diakonie-Geschäftsführer Klaus Stark sieht dringenden Handlungsbedarf, insbesondere auf Bundesebene. Aus diesem Grund hat er sich jüngst einer Initiative des Baden-Württembergischen Sozialministers Manfred Lucha (Bündnis90/Die Grünen) angeschlossen, der eine dem Kurzarbeitergeld vergleichbare Regelung für Werkstatt-Beschäftigte gefordert hat. Stark selbst leitete das entsprechende Schreiben umgehend an das Thüringer Sozialministerium sowie die CDU-Fraktion im Landtag weiter. „Es muss dringend etwas geschehen“, appelliert Stark. „Sonst trifft es einmal mehr die Schwächsten der Gesellschaft.“
Für manche Beschäftigte hingegen sind die Werkstätten geöffnet. „Ähnlich wie in den Kindertagesstätten haben wir sogenannte Notgruppen eingerichtet, in denen an allen Standorten gearbeitet wird“, erklärt der Diakonie-Geschäftsführer. Jedoch müsse man sich hierbei wie in den Kitas nach bestimmten Kriterien richten, ergänzt er. „Dieser Zustand ist keinesfalls haltbar und keine Lösung auf Dauer.“
Neben dem finanziellen Aspekt ist es vor allem die soziale Isolation, die den Menschen mit Behinderung zu schaffen macht. Nahezu täglich erreichen die Werkstätten Anrufe von Beschäftigten und Angehörigen, wie es weitergeht, wann wieder geöffnet ist. „Die psychische Belastung ist enorm und keineswegs zu unterschätzen“, betont Bodo Ulbricht, Werkstattleiter in Eisfeld und Hildburghausen. „Die Tagesstruktur ist vollkommen weggebrochen, und für manche Beschäftigte haben wir deshalb Arbeitsinhalte für zu Hause bereitgestellt, damit zumindest ein ähnlicher Ablauf erhalten bleibt.“ Für die Beschäftigten im Berufsbildungsbereich werden – ähnlich wie in den Schulen – Bildungspakete geschnürt, sagt Bereichsleiterin Isabel Otto, die zuständig für den Standort Sonneberg und den Bereich „Wohnen für Menschen mit Behinderung“ ist. „Wöchentlich erhalten sie von den zuständigen Fachkräften Aufgaben, die sie bearbeiten und dann abgeben müssen“, erklärt sie. Über die sozialen Medien seien sie alle gut vernetzt, sodass es in diesem Bereich verhältnismäßig reibungslos liefe. „Grundsätzlich jedoch ist es für alle Beschäftigten mehr als schwierig, nicht arbeiten, ihre Kollegen und Freunde oder andere Bezugspersonen nicht sehen zu dürfen, denn ein geregelter Tagesablauf mit allem, was dazu gehört, ist für Menschen mit Behinderung von enormer Wichtigkeit“, betont sie nachdrücklich.
Titelbild: Der Standort der Wefa in Hildburghausen. Foto: Werkstätten für angepasste Arbeit (Wefa)