Wohin Thüringen – heute: Bildung mal anders betrachtet
Leserbrief. Der staatliche Bildungsbereich bzw. dessen Lehrinhalte liegen zu 100% bei der Landesregierung. Es ist damit der einzige Bereich, bei welchem nicht von außen hineingeredet wird. Das ist Vor- und Nachteil zu gleich. Vorteil, weil wir als kleines Flächenland die Chance haben, es besser zu machen als andere – Nachteil, weil wir als kleines Flächenland die Ressourcen teuer bezahlen müssen.
Wenn wir es seit der Wende richtig gemacht hätten, sähe die Lage im Bildungsbereich wesentlich besser aus. Aber über Jahre hinweg wurde gespart und gespart und gespart, Geld für andere Dinge war wichtiger, als es hier für unsere eigene Zukunft auszugeben, nicht wahr, liebe CDU??? Aber im Wahlkampf kommen wieder von allen Seiten die gleichen Parolen, nur danach tut sich wohl wieder nix.
Das Grundproblem ist nicht nur die mangelnde Anzahl an Lehrern oder die bauliche Substanz der Schulen. Ich sehe es auch darin, dass wir zu viele Abiturienten haben. Nicht gleich wieder die Stirn runzeln, liebe Genossen…! Wie viele der Abiturienten studieren??? Wie viele davon absolvieren ihr Studium erfolgreich??? Wissen Sie, was es uns alle kostet, wenn ein Abiturient zwar seinen Abschluss hat, danach jedoch nicht studiert bzw. scheitert? Und das ist nur die eine Seite!
Die andere Seite hat jeder Betroffene selbst zu stemmen: 2 Jahre Abitur bedeuten nicht nur 2 Jahre Geld gekostet, sondern auch 2 Jahre nix verdient, 3 Jahre (z. B.) umsonst studiert, bedeuten weitere 3 Jahre ne Menge Geld gekostet und 3 Jahre nix verdient. Das sind volkswirtschaftlich in diesem Fall 10 verlorene Jahre! Das sind in der Gesamtheit und über die vielen Jahre betrachtet Unsummen an Geld und Zeit, die hier umsonst verballert werden und die personelle Situation an den Bildungseinrichtungen angespannt halten.
Besser wäre es also, zukünftig in der Bevölkerung wieder dafür zu sorgen, dass der Regelschulabschluss den Qualitätsstatus bekommt, den er mal hatte: Eine allumfassende, allgemeinbildende Ausbildung, welche dazu befähigt, einen Beruf zu erlernen. Kein Mensch kann mir erklären, warum z. B. Bankkaufleute Abitur haben müssen – wozu? Ich kann mir nur den einen Reim drauf machen: die 10. Klasse ist derzeit qualitativ nicht ausreichend. Das muss wieder geändert werden. Lehrpläne entmisten, Unwichtiges raus, Wichtiges hinein. Ideologie raus aus den Schulen! Aber: Es hängt auch mit den Elternhäusern zusammen, die mittlerweile immer öfter gegen die Schulen arbeiten. Und: Es hat auch damit zu tun, dass es viele Lehrkörper einfach leid sind, neben einem Bildungsauftrag auch noch den elterlichen Erziehungsauftrag wahrzunehmen, denn dafür werden sie nicht bezahlt. Um Ärger aus dem Wege zu gehen, erspart man sich dann doch lieber die Auseinandersetzung mit dem Schüler und der Helikopter-Mama, gibt ihm mal ne Note besser und gut is.
Das Bildungsniveau in Deutschland ist massiv gesunken in den letzten Jahren, im Ausland lacht man über uns (siehe Abi-Skandal in Berlin). Wohlstandsarroganz oder auch Wohlstandsverwahrlosung könnte man dazu sagen. Wir leben von der Substanz. Das Leistungsprinzip wurde ausgehebelt. Die nächste Landesregierung wäre also gut beraten, nicht nur personell aufzustocken (und das ist schon fast unlösbar), sondern u. a. auch inhaltlich daran zu arbeiten, dass wir gegen den hiesigen Fachkräftemangel aktiv vorgehen, indem wir ganz unpopulär wieder Leistung abfordern, ehrlich bewerten und Facharbeiter- und Handwerksberufe öffentlich aufwerten. Abwanderung und weitere Erodierung in diesen Bereichen können wir uns nicht mehr leisten. Sonst wird es wirklich so werden, dass wir in 10 Jahren 8 Wochen auf den 70-jährigen Handwerker warten.
Aber wie ich die Parteien kenne, mehr als gute Worte und leere Versprechungen kommen da nicht, alles Andere würde mich sehr wundern. Unangenehme Dinge mögen diese weichgespülten Regierungen nämlich nicht, das gibt nur Diskussionen und denen gehen wir doch gern aus dem Weg.
Torsten Ludwig
Schleusingen
Foto: Südthüringer Rundschau
(Leserbriefe spiegeln nicht die Meinung der Redaktion wider. Um die Meinung der Leser nicht zu verfälschen, werden Leserbriefe nicht zensiert, gekürzt und korrigiert. Mit der Einsendung geben Sie uns automatisch die Erlaubnis, Ihren Leserbrief in unserem Medium abzudrucken und online auf unserer Internetseite zu veröffentlichen.)