Zum Tod von Hans-Jürgen Salier: „Man kann nur die Gegenwart schätzen wenn man weiß, wie die Vergangenheit war“
Hildburghausen (sr). Er war einer der profundesten Kenner der Geschichte seiner Heimatstadt Hildburghausen und hat dafür Quellen schier ohne Ende studiert. Hans-Jürgen Salier – Lehrer, Heimatforscher, Briefmarkensammler, Verleger und Autor – ist am 30. Mai im Alter von 77 Jahren in Coburg verstorben. Hans-Jürgen Salier war verheiratet und Vater von zwei Söhnen.
Salier wurde 1944 als Halbwaise im ehemaligen Gebäude der Freimaurerloge „Karl zum Rautenkranz“ in Hildburghausen geboren. Er studierte von 1960 bis 1962 am Institut für Lehrerbildung in Meiningen und von 1966 bis 1977 an der Pädagogischen Hochschule Erfurt/Mühlhausen (Fernstudium/Abschluss als Diplomlehrer für Deutsche Sprache und Literatur). Bis zum Juli 1987 war er Lehrer an der Zentralen Oberschule, der späteren „Joseph-Meyer-Oberschule“ in Hildburghausen und in der Erwachsenenbildung.
Dann war er auf Wunsch einiger Genossen zwei Monate arbeitslos. Tatsächlich! Zu keiner Zeit seines Lebens hatte er einen ruhigen hauptamtlichen Job beim Kulturbund der DDR (seit 1957 war er Mitglied), so ein Zitat Salier in einem seiner Leserbriefe in unserer Zeitung. Bis Juni 1990 war er als Lektor im transpress VEB Verlag für Verkehrswesen Berlin tätig.
Ende der achtziger Jahre gehörte Hans-Jürgen Salier zu den Mutigen, die dem wirtschaftlich, ökologisch, moralisch hinfälligen „Arbeiter-und-Bauern-Staat“ in einer Friedlichen Revolution die Macht entwanden. Seine Notizen aus jener Zeit beweisen, wie waghalsig und doch besonnen sich Bürger ihre Freiheit und Selbstbestimmung zurückholten, ohne Rache zu üben. Er war Mitglied des Bürgerkomitees zur Auflösung der Kreisdienststelle Hildburghausen des Ministeriums für Staatssicherheit sowie des Runden Tisches für den Kreis Hildburghausen.
Hans-Jürgen Salier gründete am 1. Juni 1990 – noch vor der Währungsunion und dem Ende der DDR – in Hildburghausen seinen Verlag „Frankenschwelle“. Er war einer der ersten Ostdeutschen gewesen, die einen privat geführten Verlag gründeten. Seit 1993 arbeitete er überdies als Mitarbeiter im Druckhaus Offizin Hildburghausen GmbH.
Bis zur Weitergabe der Verlagsgeschäfte an seinen Sohn Bastian Salier im Jahr 2006 war Hans-Jürgen Salier an der Herausgabe, Lektorierung und Gestaltung von etwa 250 Büchern und Broschüren zu regionalgeschichtlichen Themen, vor allem zur Geschichte der Region Südthüringen und Franken sowie zur DDR- und Zeitgeschichte beteiligt. Der Salier Verlag von Sohn Bastian hat seinen Sitz in Leipzig.
Verschiedene Publikationen des Verlages befassten sich auch mit der Forschung zum Fall der „Dunkelgräfin“, die zwischen 1807 und 1837 gemeinsam mit ihrem Begleiter in Hildburghausen und Eishausen lebte und bei der es sich nach der auch von Hans-Jürgen Salier vertretenen Theorie um Marie Thérèse Charlotte von Frankreich (Madame Royale) handeln soll. Das Rätsel um „Dunkelgraf und Dunkelgräfin“ war bis 1990 weitgehend in Vergessenheit geraten und wurde mit den Publikationen im Verlag „Frankenschwelle“ wieder ins Bewusstsein gebracht.
Nach dem Tod Helga Rühle von Liliensterns im Jahre 2013 hat Hans-Jürgen Salier das Standardwerk „Das große Geheimnis von Hildburghausen – Auf den Spuren von Dunkelgräfin und Dunkelgraf“ mit einer ausführlichen Dokumentation der Ereignisse der vergangenen Jahre versehen.
Im Jahr 2007 erhielt Salier den Slusizer-Preis für seine publizistischen Verdienste um das Henneberger Land. 2014 wurde ihm die Ehrenmedaille des Landrates für besondere Verdienste für den Landkreis Hildburghausen verliehen. Im selben Jahr zeichnete ihn die Ministerpräsidentin des Freistaates Thüringen, Christine Lieberknecht, für sein Wirken in der Zeit der Friedlichen Revolution 1989/90 aus.
Das 2019 erschienene Buch „STADTGESCHICHTE HILDBURGHAUSEN – Wissen und mitreden können“ widmete Hans-Jürgen Salier den Bürgern seiner Heimatstadt Hildburghausen. Der 525 Seiten umfassende gedruckte Titel arbeitet historische Fakten von den Anfängen bis zur Gegenwart auf.
Die Geschichte einer Stadt ist immer eng mit der Nation, der Region, vor allem aber mit der Geschichte der Menschen verbunden, die in ihr beheimatet sind. Sie sind es, die einer Stadt Leben einhauchen, in ihr wirken und dafür sorgen, dass geschichtliche Ereignisse nicht der Vergessenheit anheim fallen.
Hans-Jürgen Salier
In drei Jahren, 2024, feiert die Stadt Hildburghausen ihr 700-jähriges Jubiläum der Stadterhebung. Für die Einwohner, Freunde und Gäste der Stadt könnte das Buch ein Auftakt sein.
Mit seinen 2020 erschienenen Erinnerungen „Im Land der Anderen – Begegnungen mit dem Sozialismus in der DDR“ wertet Salier seine Stasiakte aus: Begegnungen mit Staatssicherheit, Nationaler Volksarmee, die intensiven Spitzeleien der Tschekisten und sozialistische Endzeitstimmung. Hans-Jürgen Salier schließt seinen Band mit Bemerkungen zur Friedlichen Revolution 1989 und ihren politischen Folgen für den Landkreis Hildburghausen „statt eines Nachwortes“ ab. Er zieht darin Bilanz seines politischen Engagements seit den Septembertagen 1989 (Aufrufe des Neuen Forums) bis zur Besetzung der Dienststellen des Ministerium für Staatssicherheit (MfS) am 5. Dezember 1989 und bezeichnet sie als die „spannendste und glücklichste Zeit“ seines Lebens, die Zeit als Kreisrat der FDP (1990 – 2000) und der CDU (2000 – 2008), in der er „Demokratie mitgestaltet hat“, ein Lebensabschnitt mit Ergebnissen, auf die er stolz sei.
Sein letztes (Koch)Buch „Das isst kein Schwein – Kochen und plaudern über die Welt und den lieben Gott“ erschien noch wenige Wochen vor seinem Tod. Das Erscheinen dieses Buches hat er noch miterleben dürfen, war aber zu dieser Zeit schon erkrankt. Die Rezepte, die Hans-Jürgen Salier im Laufe seines Lebens gesammelt hat, sind eng verknüpft mit seiner eigenen Biografie, mit Vorlieben, aber auch Abneigungen, die man sich eben so aneignet. Gewürzt sind die Gerichte mit Geschichten um Geschichte, Anekdoten und Sprüchen aus seiner Südthüringer Heimat.
Hans-Jürgen Salier war über Jahrzehnte hinweg der Südthüringer Rundschau sehr verbunden. Von seinem professionellen Rat, seiner tatkräftigen Unterstützung und seiner Großzügigkeit, wenn es um die Bereitstellung von Text- und Bildmaterial ging, haben wir stets profitieren dürfen. Dafür sagen wir recht herzlichen Dank lieber Hans-Jürgen.
Als Unterstützer und engagierter Verleger wird uns Hans-Jürgen Salier immer in Erinnerung bleiben.
Unser tiefes Mitgefühl gilt seiner Frau Gudrun, seinen Söhnen André und Bastian sowie seiner gesamten Familie.
Alfred Emmert
und das Team der Südthüringer Rundschau
Foto: Privat