„Zwei Herzen schlagen, ach, in meiner Brust“ – Gedanken zum geplanten Windpark in Eisfeld
Leserbrief. Seit dem 12. Dezember 2019, mit der ersten informativen Stadtratssitzung, beschäftigt mich als Stadtrat meine anstehende Entscheidung zum Windpark im Windvorranggebiet W8 in Eisfeld.
Der steigende Lebensstandard, die Digitalisierung und die Transformation in der Mobilität haben alle eine gemeinsame Folge – wir benötigen mehr elektrische Energie, viel mehr elektrische Energie! Als Vergleich sei erwähnt, dass man mit der benötigten Energie für 200 Google-Suchaufträge ein Herrenhemd bügeln könnte. Auch der Umstieg von muskelkraftbetriebenen Zweirädern auf E-Bikes wird nicht ohne energetische Folgen bleiben, obgleich der urbanen Mobilität, verbunden mit den öffentlichen Verkehrsmitteln, unsere Zukunft gehören sollte.
Der steigende Energiebedarf soll weitestgehend klimaneutral und nicht zu Lasten zukünftig Generationen erzeugt werden. Neben Photovoltaikanlagen sehe ich persönlich hauptsächlich die Windkraft als mögliche, umweltfreundlichere Alternative zu Atom- und Kohlekraftwerken. Es ist aber sicherlich nur menschlich, dass man etwas gut und sinnvoll findet, solange man es nicht vor der eigenen Haustür tagtäglich anschauen muss. Das gilt für die Windkraft genauso wie für die unzähligen, mit Photovoltaik-Anlagen bestückten Grundstücke. Alles ist jedoch immer noch besser als ein Atom- oder Kohlekraftwerk in der unmittelbaren Nähe. Bei solchen stark zentralisierten Verfahren zur Energieumwandlung „zahlen“ wenige Menschen für den Wohlstand der Gemeinschaft.
Eisfelds Windpark wäre somit unser Anteil zur Energiewende, der „kommunale Bürgerbeitrag“ zu einer lebenswerten Zukunft, welche jedoch deutliche Einschnitte im persönlichen Umfeld bedeuten würden. Es handelt sich, verglichen mit einem globalen Szenario, welches drastische Folgen der Steigerung der Durchschnittstemperatur darstellt, um vergleichsweise geringe Einschnitte – soweit man den vortragenden „Gutachtern“ zur Stadtratssitzung zu den Emissionen Glauben schenken darf.
Neben den globalen Szenarien gibt es natürlich auch monetäre Gesichtspunkte, die für die Errichtung sprechen – die im Podium sitzenden Vertreter der Thüringer Energie und der Landesenergieagentur Thüringen (ThEGA) nennen hier u.a. die Pachterlöse; die Gewerbesteuer; die direkte Beteiligung an jeder erwirtschafteten Kilowattstunde bis hin zum günstigeren Strom für die Bürger, die auf diese 240 Meter hohen Windräder blicken „dürfen“, finanzielle Beteiligungskonzepte für Bürger, die in die klimafreundliche Energieerzeugung investieren wollen, und die Kostenübernahme für die Aufforstung von Ausgleichsgebieten, die vorher abgeholzt werden müssen, damit die Windkraftanlagen errichtet werden können. Dies sind viele „Sonderangebote“ für die Stadträte der Kommune Eisfeld, welche seit ca. drei Jahren kaum noch einen Gewinn durch den Stadtwald erwirtschaften kann, weil der Holzpreis fällt und der Borkenkäfer für ein Baumsterben sorgt.
Ich schwanke in meiner Entscheidung zwischen globaler Verantwortung, der Sicherung der finanziellen Zukunft unserer Kommune, um auch, wie Stadtrat Christoph Bauer erwähnte, die Zukunftsprojekte unserer Stadt finanzieren zu können, und den Sorgen und Bedenken, welche viele Bürger beschäftigen: Was wird aus unseren schönen Thüringer Wald? Lässt uns der Infraschall erkranken? Was ist mit dem sogenannten „Schlagschatten“? Sind die monetären Vorteile, welche suggeriert werden, wirklich real?
Einfach wäre es für mich, am Entscheidungstag mit „Enthaltung“ abzustimmen. Somit würde ich jeden Konflikt aus dem Weg gehen. Aber dafür haben mich die Wahlberechtigten nicht zum Stadtrat gewählt. „Halbschwanger“ geht in diesem speziellen Fall, für oder gegen W8, nicht, denn wenn die Entscheidung, in diesem Fall ohne Bürgerentscheid, gefallen ist, dann sind diese Windräder in Eisfeld zwischen 20 und 25 Jahre zu sehen und könnten sich zur neuen „Sehenswürdigkeit“ in dieser Region entwickeln. Sollte man sich für ein „NEIN“ zur Windkraft entscheiden fehlen evtl. über Jahrzehnte wichtige Einnahmen, welche unsere Stadt dringend benötigt und im schlimmsten Fall werden die Windkraftanlagen auf den privaten Flächen dennoch gebaut.
Ich wünsche mir für unsere Stadt einen offenen, vorurteilsfreien Diskurs, eine Entscheidung des Gewissens über Fraktionsgrenzen hinweg und die umfangreiche Einbindung unserer Bürger. Schlussendlich, da stimme ich Herrn Gregor zu, ist der Stadtrat für solche Entscheidungen gewählt worden. Jedoch bin ich der Meinung, dass wir unseren Weg der Bürgerbeteiligung, siehe „Kulturmeile“, weiter gehen sollten. Welche sinnvollen und repräsentativen Möglichkeiten dafür offen stehen, gilt es zu eruieren. Wenn schon wegen COVID-19 keine Bürgerversammlung möglich ist, so hat uns die Pandemie gelehrt die Vorteile der Digitalisierung zu nutzen – wieso nicht auch hierbei?
Der Ehrlichkeit halber darf man noch bemerken, dass auch die Möglichkeiten des Stadtrates sehr begrenzt sind – sollte das Gebiet, wie oben schon angeschnitten, auch in der neuen Regionalplanung als Vorranggebiet ausgewiesen werden, die privaten Eigentümer ihre Grundstücke zur Verfügung stellen und das Genehmigungsverfahren durchlaufen, so lauten die Fragen nicht, ob ein Windpark errichtet wird, sondern unter welchen Rahmenbedingungen dieser errichtet wird und ob die Bürger der Kommune von diesem partizipieren. Hier bin ich zweifelsfrei der Meinung, dass es die Aufgabe der Stadt ist gestalterisch und federführend mitzubestimmen.
Wir werden als Bürger viele Dinge in die Waagschale werfen müssen: kurz- und langfristige Folgen, lokaler Naturschutz, globale Klimaerwärmung, finanzielle und gesundheitliche Folgen für die Bürger der Kommune. Ich freue mich auf Reaktionen unserer Mitbürger, anregende Gespräche, ehrliche Meinungen, geäußerte Hoffnungen, aber auch Ängste. Alle Bürger der Kommune sollen die Stadträte ansprechen und ihre Meinungen und Ansichten mitteilen.
Marco Langbein
Stadtrat in Eisfeld
Fraktion der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
Foto: Pixabay
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